Dienstag, 7. Juli 2015

FRANKFURT: DER ROSENKAVALIER

wer an den „rosenkavalier“ von hugo von hofmannsthal und richard strauss denkt, hat immer gleich die bilder im kopf parat: putzige rokoko-interieurs, puder, perücken, parfümierte parvenus. claus guth (regie) und christian schmidt (bühne) wählen an der oper frankfurt einen anderen ansatz für das spiel um werden und vergehen der liebe: das café sperl in der gumpendorfer strasse in wien, wo das dunkle holz und die düstergelben wände noch heute schwer das ausgehende 19.jahrhundert atmen, inspirierte die beiden zu einem beklemmenden sanatorium, melancholie total. hier ist die feldmarschallin patientin, unheilbar, ihre mésalliance mit dem 17jährigen oktavian scheint in weiter ferne, sie gönnt ihm sein leben, sie hilft ihm zu seiner sophie, denn ihre zukunft heisst alter, nicht jugend: „man ist dazu da, dass man’s ertragt. und in dem ‚wie‘ da liegt der ganze unterschied.“ amanda majeski ist für die rolle der marschallin eigentlich zu jung – und doch eine traumbesetzung: keine verbitterte frau eben, sondern eine weise und offene, die das leben liebt und strauss‘ hinreissender melodienfülle mit lodernder, leichter stimme alles, wirklich alles abgewinnt, das komödiantische und das tiefschürfende. auch die anderen hauptrollen sind toll besetzt (paula murrihy, christiane karg, bjarni thor kristinsson), doch ihr gehört dieser abend: die ganze oper wird – musikalisch und szenisch absolut konsequent – zu einem einzigen rückzug, einem abschied mit grösse und stil. am ende, wenn sich die zwei jungen liebenden definitiv gefunden haben, wendet sich die marschallin dezent ab, legt sich aufs klinikbett und lässt los. die vergänglichkeit überholt die zeit. ein kleines mädchen findet sie zum schlussakkord, kalt.

Samstag, 4. Juli 2015

ZÜRICH: GIANNA UND DIE RÜSTIGEN RENTNER

die dame gehört nicht mehr zu den jüngsten. die dame sollte bei 31 grad am schatten eigentlich keinen hochleistungssport mehr betreiben. die dame ist 61. sie trägt ein weisses t-shirt mit der aufschrift „sex, roll, rock, drugs“. sie trägt dieses t-shirt zu einer edlen olivfarbenen trainingshose mit weissen streifen und einer jacke aus rotem leder oder eher kunstleder. das würde bei jeder anderen frau in diesem alter peinlich wirken. nicht bei gianna nannini. sie ist so was von fit und so was von gut drauf an diesem traumhaften abend beim „live at sunset“ im zürcher dolder. ciao a tutti, sagt sie, wie eh und je, und legt dann los: i maschi innamorati, io senza te, latin lover, oh marinaio, profumo, america, bello e impossibile. es sind die songs, mit denen frau nannini das publikum durch die vergangenen vier (!)  jahrzehnte begleitet hat – und dies mit einer beachtlichen erfolgsquote: viele rüstige rentner summen und pfeifen und klatschen und stampfen mit, was das zeug hält, und retten ihre wilde vergangenheit in eine immerhin noch halbwilde gegenwart. älter werden mit gianna, nicht das schlechteste programm. power und poesie, nicht der schlechteste mix. immer wieder zwinkert sie jemandem zu, scherzhaft, herzlich, wie unter alten freunden. alles stimmt an diesem abend, und deshalb schreckt sie auch vor den grössten schnulzen nicht zurück: „volare“, mit dem domenico modugno 1958 am festival von sanremo abgeräumt hat, italien ist überall, volare con tutti, nel blu dipinto di blu.

Freitag, 3. Juli 2015

GISWIL: HUISSOSSÄ UND MAGISCHE MOMENTE

am anfang waren alle skeptisch. die, die’s organisiert hatten. und die, die gar nicht anders können. doch das volkskulturfest „obwald“ auf der gsang-lichtung bei giswil wurde schneller als erwartet ein voller erfolg und gehört mittlerweile zu den sommerlichen musts. auf dem parkplatz autonummern aus luzern, solothurn, zürich, basel und deutschland - und im publikum sieht man jetzt, beim zehn-jahr-jubiläum, sogar die eine und den anderen obwaldner, die anfänglich gar nicht anders konnten als skeptisch-sein. gut so. weiter so. immer noch braucht’s für die speisekarte übersetzungshilfe: säimerwurscht und ruichbrot, essiggmiäs, huissossä (das ist kein einheimischer jodel, sondern die haussauce). lokales auf dem teller, globales auf der bühne: tamara riebli in obwaldner tracht und nguyen thi trung in vietnamesischer seide machen gemeinsam den anfang und dann, ja, sind sie alle wieder da zu diesem jubiläum, verteilt auf zwei wochenenden, die vietnamesen mit ihren saiten- und bambusinstrumenten, die familia bermudez aus andalusien, für deren flamenco-performance die bühne verstärkt werden muss, chimi wangmo aus bhutan, die appenzeller, die toggenburger, die greyerzer. sie wärmen die herzen. und wenn dann (welch klingende namen) omar bandinu, bachisio pira, marco serra und arcangelo pittudu bei vollmond zu ihren obertongesängen ansetzen, die von tierstimmen, von wind und wellen inspiriert sind, dann rührt das auch mal zu tränen. die vier sarden sind bekannt als tenores di bitti, ihre melodien gehören zu den immateriellen kulturgütern der unesco und sind hier im nächtlichen wald einfach einer von vielen magischen momenten.

Sonntag, 14. Juni 2015

MÜNCHEN: DER STRASSENKÖTER KOMMT

johan simons also ist auf die zielgerade eingebogen, derweil matthias lilienthal, der künftige intendant der münchner kammerspiele, gerade so richtig warmgelaufen scheint. und es steht nicht zu befürchten, dass er es sich, den kammerspielen und dem münchner publikum zu bequem macht: "ich bin ein kleiner berliner strassenköter, und wenn man dem sagt, geh rechts rum, geht er aus prinzip links rum." das ist, in einem sehr langen interview mit christine dössel von der "süddeutschen zeitung", der allerletzte satz. und also programm.

Samstag, 13. Juni 2015

MÜNCHEN: HOPPLA, WIR STERBEN!

kriegsähnliche zustände sollen jeweils herrschen bei louis vuitton in münchen, wenn arabische kundinnen nur drei taschen kaufen dürfen pro person, obwohl sie gerne zehn hätten. beschluss der geschäftsleitung. kriegsähnliche zustände, sagt zmarak, der bei louis vuitton gearbeitet hat, im neuen stück von arnon grünberg. der niederländische autor hat sich für „hoppla, wir sterben!“ während mehreren monaten von den menschen in dieser stadt, den eingeborenen und den zugereisten, den auffälligen und den unauffälligen, inspirieren lassen zu einem subtilen text über identität und internationalität. den roten faden liefert ein abwesender, oberstleutnant fuchs, der in afghanistan verschwunden ist. frau fuchs redet über ihn und frau merkel, ein beinloser und ein interkultureller berater, passanten in allen varianten. die stadt, die sie verbindet, ist in der inszenierung von johan simons ein gigantisches, zwei stunden lang loderndes lagerfeuer. hier treffen sie sich oder auch nicht, hier reden sie miteinander oder für sich. „identität ist ein aufrichtiges spiel mit dem anderen.“ aufrichtig und unspektakulär spielen sie sich durch grünbergs text - 19 szenen, die zeigen, wie die globalisierung jeden trifft und jeden anders. es ist johan simons‘ letzte inszenierung als intendant der münchner kammerspiele: kein knaller, sondern eine sorgfältige, stille meditation. die offenheit für andere menschen, andere ideen, andere argumente, die hier während fünf jahren programm war, sie bekommt noch einmal ihren platz.

Samstag, 11. April 2015

ROMA: TRAUMNOVELLE (DOPPIO SOGNO)

eher unvorteilhaft gebaute herren in vulgären slips und mit überdimensionierten winnie-the-pooh-plüschmasken sind nicht das erste, was mir zum stichwort "erotische phantasien" einfällt. meiner gemahlin übrigens auch nicht. mit genau solchem personal aber bevölkert regisseur giancarlo marinelli seine inszenierung von arthur schnitzlers "traumnovelle" am grossen teatro quirino in rom. das ausgeklügelte spiel zwischen dem arzt fridolin und seiner gattin albertine, die sich mit erotischen phantasien und geheimen wünschen zunächst necken und später, wenn sich die grenzen von traum und wirklichkeit verschieben oder aufheben, zutiefst verunsichern, entbehrt hier jeder raffinesse; ein gespür für intimere szenen oder für das abgründig-knisternde der vorlage entwickeln weder regisseur noch schauspieler. da wird nicht mit feinen verbalen klingen gefochten, sondern mit brusthaarteppichen gewedelt. fridolins mutter wird unvermittelt zu einer hauptfigur, ihre schimpftiraden auf sohn und schwiegertochter geraten zu hässlichen und letztlich unmotivierten arien; der verdacht liegt nahe, dass die ältere kollegin im ensemble auch wieder mal rollenfutter brauchte. und auch den verdacht, dass einem mit rai und mediaset sozialisierten publikum selbst ein ernsthafter, tiefgründiger stoff nur noch in knalliger variété-verpackung zugemutet werden kann, werden wir nicht ganz los. schnitzler a roma: es war eine art mutprobe.

Mittwoch, 8. April 2015

ROMA: FUTURO

walter veltroni, ehemaliger bürgermeister von rom und ehemaliger italienischer kulturminister, hat mit kindern einen film gedreht. über ihre welt. über ihre geheimnisse. über ihre träume. "i bambini sanno" läuft noch nicht in den kinos, erst der trailer. und da werden ein paar kinder am schluss gefragt, ob sie die zukunft eher mit sorgen oder eher mit hoffnung verbinden. ein junge mit down-syndrom antwortet: "futuro è una bella parola." er sagt es herzlich und er sagt es überzeugt.

Dienstag, 7. April 2015

ROMA: BRIEFE INS LEERE

ein grosser dunkler raum. im alten teil von zaha hadids maxxi in rom hängen fünf zimmerhohe screens unregelmässig angeordnet in der schwarzen leere. darauf ein paar vereinzelte menschen in einem einst repräsentativen, mittlerweile heruntergekommenen festsaal, fahles licht von aussen, die offensichtliche inszenierung einer belasteten zeit: auf einem bildschirm sitzt eine ältere frau auf einer bettkante, ein mann wie ein beichtvater ihr gegenüber; auf einem anderen ein jüngerer mann grübelnd an einem alten schreibtisch; stille, schweigen, keine bewegungen. zu dieser bleiernen ereignislosigkeit lassen die beiden albanisch-italienischen videokünstler adrian paci und roland sejko auf der tonspur briefe lesen, briefe aus der zeit nach 1943, als über 20'000 italiener nach der okkupation für jahre in albanien festgehalten wurden und keinen kontakt zur heimat haben durften. es sind briefe von angehörigen, geliebten, müttern, brüdern. zunächst überrascht, solange nichts zu hören, dann verzweifelt, dann hoffnungslos. "dopo mesi e mesi che non ho più notizie del tuo arrivo, non posso più nascondertelo, tuo padre è morto otto mesi fa." und in der letzten phase versuchen sie sich mit dem unausweichlichen zu arrangieren, weil zum beispiel entscheidungen nicht länger aufgeschoben werden können, weil grössere ausgaben beschlossen werden müssen. es sind briefe, die ihre empfänger nie erreichen. briefe ins leere. auch umgekehrt, auch die post aus albanien gelangt nicht nach italien. zwei länder, keine 100 kilometer und doch durch die geschichte welten voneinander entfernt. die säcke mit all den ungelesenen briefen wurden erst jahrzehnte später im albanischen staatsarchiv entdeckt. jetzt liegen diese briefe im maxxi, am eingang zum grossen dunklen saal.

Mittwoch, 1. April 2015

ROMA: LUCIA DI LAMMERMOOR

staatspräsident sergio mattarella betritt mit entourage die königsloge. der botox-gesättigte saal erhebt sich und applaudiert. dirigent roberto abbado setzt an, nicht zur ouverture, sondern zur italienischen nationalhymne. der botox-gesättigte saal erhebt sich erneut und singt ergriffen mit. eine opernpremière als staatsakt. geehrt wird starregisseur luca ronconi, der am 21.februar 83jährig starb. er hätte diese "lucia di lammermoor" an der opera di roma inszenieren sollen; das konzept stand, die proben allerdings konnte er nicht mehr leiten. seine mitarbeiter übernahmen. das resultat: zwiespältig. auf der positiven seite die bühnengestaltung, die sich jedem realismus widersetzt und eindrückliche psychologische räume schafft, hell und hoch und trotzdem ausweglos wie ein kerker, ein kloster, ein kastell. hier gibt es kein entrinnen, für lucia nicht (die aus familienräson den falschen mann heiraten muss) und ebenso wenig für all die drahtzieher, die sie umgeben. doch dieser visuelle ansatz findet im szenischen keine entsprechung. die protagonisten, eh schon ziemlich steif gehalten in den kostümen aus der schaffenszeit von donizetti, werfen sich in die konventionellsten opernposen, da entsteht keine spannung zwischen den figuren, viel plumpes rampensingen, nix raffinierte psychologie - das kann ronconi so nicht gewollt haben. jessica pratt (lucia), marco caria (enrico) und stefano secco (edgardo), deren leidenschaftliche stimmen prächtig harmonieren, verleihen dem abend immerhin eine ganze reihe vokaler glanzlichter. ein stimmenfest für den toten regisseur.

Sonntag, 15. März 2015

ST. GALLEN: LUCREZIA BORGIA

bei der party in der gestylten weissen villa hebt einer kurz den weissen teppich. darunter: blut, noch schön frisch. leichen pflastern den weg von lucrezia borgia, tochter eines papstes, blutschänderin, ehebrecherin, giftmischerin, berüchtigt, wenn auch historisch nicht einwandfrei verbürgt. in seiner inszenierung von donizettis oper am theater st. gallen verlegt tobias kratzer die handlung von der renaissance ins heute, mit viel attraktivem, geschniegeltem jungvolk, was den italo-mafia-intrigantenstadel nicht weniger nachvollziehbar macht, im gegenteil. der kontrast zwischen donizettis süffigem belcanto und den wachsenden leichenbergen nimmt schon beinahe parodistische dimensionen an, zumal pietro rizzo mit dem sinfonieorchester st. gallen gelegentlich ziemlich dick aufträgt. doch die regie nimmt die figuren durchaus ernst, allen voran jene im zentrum: katia pellegrino als lucrezia, die sich in den eigenen unehelichen sohnemann gennaro – anicio zorzi giustiniani, so heisst er und so singt er – in den sohnemann also verliebt und ihn versehentlich auch vergiftet, ist nicht einfach das rachsüchtige machtweib, sondern eine von sehnsucht, angst und verzweiflung getriebene frau. ein eindrückliches rollenporträt, auch stimmlich, mit einem von intimen momenten hin zu dramatischen ausbrüchen reich differenzierenden sopran. schlicht genial ihr auftritt als todesengel im kleinen schwarzen, wenn sie im letzten akt ihren bereits am boden röchelnden giftopfern mit stechendem blick mitteilt, dass ihre fünf särge schon bereitstehen vor der villa. wie heisst es jeweils so schön: wenn sie krimis mögen, mögen sie auch diese oper.

Samstag, 7. März 2015

MÜNCHEN: MEG STUART, HUNTER

eine frau sitzt an einem tisch, schneidet konzentriert bilder aus ihrer kindheit und jugend aus, klebt sie neu zusammen. die frau ist meg stuart, die 50jährige tänzerin und choreografin aus den usa, die heute in brüssel und berlin arbeitet (damaged goods). es ist ihr erster solo-abend, und die bilder-schnipselei legt die spur: während eineinhalb stunden tanzt sich meg stuart in der spielhalle der münchner kammerspiele durch ihre biografie. der titel des abends („hunter“) macht deutlich, dass kein sentimentales zurückdenken angesagt ist, sondern ein mitunter aggressives suchen nach stationen und ereignissen, die sie geprägt, die in ihrem kopf und in ihrem nach wie vor höchst athletischen körper spuren hinterlassen haben. eine psychische und physische erinnerungsarbeit, an der sie das publikum teilhaben lässt. zu einer sehr suggestiven tonspur aus geräusch-, gesprächs- und musikfetzen entstehen expressive bilder und bewegungen, berührend, beklemmend, erschöpfend – das bild einer vielschichtigen choreografin, neu zusammengeklebt. und bevor sie, kreisend und schreiend, zu einem höchst ironischen yoko-ono-finale ausholt, setzt sie sich zum publikum und erzählt ein paar geschichten aus ihrem leben, in vertraulichem ton: wie sie tänzerin wurde, weil sie sich wie eine lieblings-trickfilmfigur zum verschwinden bringen wollte. oder wie sie sich jetzt, wo ihre grosse kollegin trisha brown an demenz leidet, immer wieder fragt, was wir wohl träumen werden, wenn wir uns nicht mehr erinnern.

Freitag, 6. März 2015

MÜNCHEN: SING MAL WAS AUF RUSSISCH

keine party und kein abend mit freunden, wo genija rykova diesen satz nicht hören muss: „sing mal was auf russisch!“ rykova ist schauspielerin am residenztheater in münchen und hat sibirische wurzeln. jetzt erfüllt sie diesen wunsch gleich abendfüllend, tritt im marstall mit timoschenko-frisur und im aufreizend knappen glitterschwarzen auf, nicht als genija rykova, sondern als irina klischevetskaja. und singt sich, nomen est omen, ironisch den ganzen klischees entlang, singt all die volkslieder und schlager von bären und beeren und birken am baikalsee, von aufgeschlitzten müttern und dem mann mit der axt. mit samtener stimme kostet sie all die zisch- und schlürflaute ihrer muttersprache lustvoll aus und die melancholie fliesst ihr literweise über die lippen. ein ganz und gar unpolitischer abend also. begleitet wird genija/irina von einer formidablen vierköpfigen jazzformation (die sie als ihre vier sibirischen brüder vorstellt), was die russische folklore einerseits ganz hervorragend erträgt und dem konzert anderseits, in raumgreifenden instrumentalsoli etwa, auch eine zusätzliche, reiche dimension verleiht. zwischendurch werden russische gewürzgurken durch die dichten publikumsreihen gereicht und wodka ausgeschenkt, nicht aus der flasche, sondern gleich aus dem 20-liter-kanister. man könnte von russland träumen. wenn man denn ausgerechnet jetzt von russland träumen wollte.

Donnerstag, 5. März 2015

OUARZAZATE: LAMM-EINTOPF

„la caravane des épices“ – was für ein märchenhafter name für einen laden in einer unscheinbaren seitenstrasse in einem unscheinbaren aussenquartier von ouarzazate. aber „la caravane des épices“ ist eben nicht einfach eine unscheinbare gewürz-boutique, sondern eine akkurat eingerichtete apotheke, die neben sandelholzölen und arganölen und anderen köstlichen essenzen auch erlesene gewürze verkauft. in diesem kleinen paradies haben wir im herbst unser ras el hanout erstanden, den duft marokkos: eine mischung aus über 25 gewürzen, darunter koriander, kurkuma, paprika, muskat, anis, chili, kardamom, lavendel, rosenblätter. und mit diesem gedicht von gewürz bereiten wir seither unseren lamm-eintopf zu, kein original marokkanischer, sondern ein marokkanisch inspirierter. wer´s auch probieren will, braucht dazu: 800 gramm lammschulter, 1 grosse zwiebel, ½ rande, ½ sellerie, 6 kartoffeln, 2 rüebli, ½ quitte, 15 dörraprikosen, rotwein, bratensauce, ras el hanout, geröstete mandeln, kümel, sesam, frischer koriander. – rande und quitte mit etwas rotwein in einem separaten topf knackig kochen und später unters hauptgericht mischen. fleisch und zwiebel würfeln, würzen und anbraten, auf kleinem feuer garen, später gemüse und früchte beigeben, am schluss mandeln, sesam und koriander. und schon macht die caravane des épices auch in mitteleuropa halt.

Montag, 16. Februar 2015

MÜNCHEN: MARIA STUART

„aha“, sagt sie trocken, als man ihr kundtut, dass sich auch ihr letzter vermeintlicher vertrauter abgesetzt hat („der lord lässt sich entschuldigen, er ist zu schiff nach frankreich“). aha. dann bricht bei königin elisabeth von england die ganze einsamkeit und verzweiflung durch, in die sie sich mit dem todesurteil gegen maria stuart manövriert hat, die königin von schottland, ihre cousine und rivalin. fassungslos und bleich steht sie allein auf der bühne der münchner kammerspiele, ein unkontrolliertes zucken überwältigt ihr gesicht, minutenlang und immer heftiger, bis sich der eiserne vorhang vor ihr senkt. ein letzter grossartiger auftritt von annette paulmann, deren elisabeth nur vordergründig eine starke und mächtige frau ist; hinter der fassade bewegt sie sich unsicher und kommt im netz aus eifersucht, intrigen und demütigungen kaum mehr zu luft – ihr enggeschnürtes, hochgeschlossenes, schrecklich gelbes königinnenkleid ist mehr korsett als prunk. mit brigitte hobmeier ist auch die stuart erstklassig besetzt, dünnhäutig und schwach und doch bis zur letzten minute ihres lebens von einer moralischen energie beseelt, die sie nicht triumphieren, aber doch immer wieder an menschen glauben lässt. regisseur andreas kriegenburg sperrt die beiden gegenspielerinnen und das männliche personal in einen bunker aus betonwürfeln, einzig die sprache sorgt für dynamik zwischen den figuren. die sprache so sehr im zentrum, ein mutiger entscheid, da sich ganz offenkundig auch grosse schauspieler in schillers komplex gedrechselten versen nicht mehr einfach heimisch fühlen. aha.

Sonntag, 15. Februar 2015

MÜNCHEN: ERFOLG

bauen, brauen, sauen – das sei das leitmotiv gewesen, damals in münchen, als lion feuchtwanger 1930 seinen roman „erfolg“ veröffentlichte – ein gewaltiges panorama der abgründe in bayerns seele und in bayerns politik. diesem 750-seiten-buch und seinem autor widmete das münchner literaturhaus jetzt eine exzellente ausstellung: das personal des romans wird hier lebendig, das in jeder beziehung wilde leben der zwanziger jahre und nicht zuletzt auch die situation des jüdischen schriftstellers in diesem zunehmend schwierigeren umfeld. in seiner autobiografie notierte er in der ihm eigenen mischung aus bitterkeit und sarkasmus: „die stadt zählte im letzten jahr, das der schriftsteller l.f. in ihr verbrachte, 137 begabte, 1012 über mittelmass, 9002 normal, 537´284 unternormal veranlagte und 122´963 voll-antisemiten. es beweist die ungewöhnliche vitalität des schriftstellers l.f., dass er in der luft dieser stadt 407´263´054 atemzüge tun konnte, ohne an seiner geistigen gesundheit erkennbaren schaden zu nehmen.“ was für ein erfolg.