Sonntag, 20. Dezember 2015

MÜNCHEN: PHILOKTET

das ist grosses schauspielertheater. drei männer, zwei stunden, ein konflikt. die schlacht um troja scheint odysseus nur noch mit dem überragenden bogenschützen philoktet für sich entscheiden zu können, doch den hat er wegen einer arg stinkenden wunde vor jahren kaltblütig ausgesetzt. also schickt er den unbelasteten jüngling neoptolemos vor, um den ausgesetzten für sich zurückzugewinnen. ein verhängnisvolles dreieck, eine zeitlose konstellation: ein machtmensch, ein aussenseiter, ein vermittler. das politische und das private überlagern sich allgegenwärtig. worte werden hier zu waffen – das beabsichtigte heiner müller in seiner sprachmächtigen zuspitzung von sophokles‘ „philoktet“ und das unterstreicht der bulgarische regisseur ivan panteleev mit seiner inszenierung am cuvilliéstheater der münchner residenz. worte sind waffen, ob geschleudert, gefeuert oder taktisch subtil und schleimerisch eingesetzt: sie verwunden und sie töten. shenja lacher (odysseus), aurel manthei (philoktet) und franz pätzold (neoptolemos) sind drei energiegeladene und hochpräzise schauspieler, die jedes wort auch körperlich umsetzen, ihm seine unmittelbare wirkung geben und sein nachhaltiges echo lassen, was durch den wunderbar leeren, nur mit daunenfedern bedeckten bühnenraum von johannes schütz eine zusätzliche dimension gewinnt. es zucken die worte, es zucken die gedanken, es zucken die gesichter. lauter monologe und dialoge und erst nach zwei stunden dann das finale terzett, wo sich die drei im stakkato konfrontativ und überlagernd vorhalten, was ihr jeweiliges handeln oder nicht handeln für individuelle oder politische konsequenzen nach sich ziehen wird. ein terzett der ohnmacht, ein terzett der ausweglosigkeit, ein terzett hin zum tod.

Freitag, 18. Dezember 2015

MÜNCHEN: DER SPIELER

vier clevere schulkinder lesen und spielen sequenzen aus dostojewskis „der spieler“. wie aus einer fernen, fremden welt. fünf schauspieler lesen und spielen ebenfalls szenen aus diesem roman. wie aus einer sehr nahen, sehr vertrauten welt, die vom geld getrieben wird und nur vom geld. was die kinder und die erwachsenen verbindet, sind mehrere dutzend umzugskartons: das symbol des unterwegsseins, des unbehaustseins, des suchens als bühnenbild und spielmaterial für grosse und kleine schauspieler, die sich immer wieder begegnen und spiegeln. christopher rüping zeigt in seiner inszenierung an den münchner kammerspielen eine annäherung an diese russische gesellschaft, die im fiktiven roulettenburg ultimativ dem glücksspiel verfällt und dabei geld und gefühle gleichermassen verjubelt. thomas schmauser in der titelrolle als privatlehrer mit casinodrang hat gefühlt alle zehn minuten eine schreiarie, einmal darf er – durchaus beeindruckend – auch tierstimmen imitieren; der weg des spielers in die verzweiflung und einsamkeit wird hier also permanent und penetrant akustisch markiert. dieser abend ist alles: brülltheater, dancefloortheater, videotheater, hüpfburgentheater. und dieser abend ist nichts: die figuren bleiben eindimensional, der diskurs und die atmosphäre auf der strecke, dostojewski verhackstückelt,  die regie findet keinen rhythmus. dieser abend ist alles und nichts, er ist mal erheiternd, oft ernüchternd und mit vielen längen vor allem auch sehr ermüdend. für die kinder gab´s am schluss herzlichen beifall, fürs regieteam üppig buhs. christopher rüping ist ab nächster spielzeit hausregisseur an den kammerspielen. mal sehen.