irgendwann gegen ende der 520-tägigen
mars-mission zieht der irre sergej die mit einem kabel abgewürgte hand der
kommandantin aus seiner hosentasche und grinst dazu ziemlich dreckig. der
sauerstoff im raumschiff wird knapp und der irre sergej ist der einzige, der
realisiert, dass er nicht für alle bis zur landung reichen wird und mit teambildung
also eher nichts mehr zu holen ist. der junge genfer informatiker (!) nicolas
vivier hat mit „mars-501 – le retour“ eine aberwitzige science-fiction-komödie
geschrieben und sie jetzt mit sechs ebenso jungen und höchst wandelbaren laien
im théâtre contretemps in genf inszeniert. auf der ostseite des kellerraums der
mars, auf der westseite die erde (exakter das centre scientifique de
développement aérospatial du groupement international pour la recherche
physique et biochimique), auf den zehn metern zwischen mars und erde das
publikum. on se bouge et s’amuse formidable. die fünf hochdotierten wissenschaftler
wähnen sich auf dem weg zum heldentum und ahnen nicht, dass die mars-mission
und der finale sauerstoffentzug nur ihrer gezielten entsorgung dient, weil sie –
durch amouröse oder mafiöse bande – den mächtigen zu lästig werden könnten. man
schaut ja immer wieder gern hinter die kulissen der macht, wo der witz und der
wahnsinn siamesische zwillinge sind. diese jungen haben da bereits eine
durchaus präzise und durchaus beängstigende vorstellung. und, ach ja, dieser
irre sergej, der das kommandantinnen-händchen im sack und das
jack-nicholson-grinsen auf dem gesicht und auch sonst noch einiges drauf hat,
heisst im richtigen leben dario brander. musste doch noch gesagt sein.
Donnerstag, 28. Juni 2012
Donnerstag, 14. Juni 2012
BASEL: ART, ART, ART
buntes pflästerli. generalverdacht. bleistiftabsätze.
schmetterlingsflügel. barock-opulente wand mit 288 verschiedenen hängevasen.
zynische buchstabenobjekte. ein riesiges xylofon. statements-koje. 175‘000
dollar. buddha in alu. erhöhte seismische aktivität. imponderabilia. mit
glitzernden totenschädeln verzierte hinterbacken. kartenhaus. 180‘000 euro.
first choice. architecture without architects. drei schicksale im luftleeren
raum. gekröse. leichtfüssiger nonsens. big pig. auf riesigem bretterboden
herumpickender vogelschwarm. kartoffel im meer. männer mit flugzeugen. 1000
polaroidaufnahmen. hure am strassenrand. hundetrainerin. bettwärme. mehr
einkehr. hermetisch abgeriegeltes
inselchen von trotziger schönheit. nice tits. globale wunde. first point. aus
dem bauch heraus aufs papier. surferbraut. mörderhacken, of course. – wenn man
das (danke, nzz und tages-anzeiger fürs trend-scouting) drei oder vier mal
liest, beschleicht einen das zunächst diffuse und dann irgendwie erleichternde gefühl, die
art basel 2012 bereits besucht zu haben. oder war es letztes jahr?
Donnerstag, 7. Juni 2012
MÜNCHEN: WIE MAN AUS TSCHECHOW KLEINHOLZ MACHT
zwölf
sehr gute schauspielerinnen und schauspieler – brüllen herum, schmieren sich
schwarze farbe ins gesicht, brüllen wieder herum, gackern wie hühner, bellen
wie hunde, werfen mit doofen stofftieren um sich, machen wasserschlachten,
brüllen herum. der katalane calixto bieito (von dem ich in basel schon einen
radikalen, klugen „don carlos“ gesehen habe) inszeniert am residenztheater in
münchen den „kirschgarten“ von anton tschechow und verdammt zwölf sehr gute
schauspielerinnen und schauspieler dazu, permanent auf kindergeburtstag zu
machen. ok, herr bieito, wir haben verstanden: tanz auf dem vulkan. die zeiten
ändern sich und mit ihnen die finanziellen verhältnisse, der kirschgarten wird
versteigert und abgeholzt. bieito macht nicht nur den kirschgarten zu
kleinholz, sondern auch das landhaus der ranjewskaja, das schon zu beginn
ausschaut wie ein ausgebombter rohbau, und – schlimmer noch – den gesamten
stücktext. tschechow charakterisiert zwölf menschen nach ihrer ganz und gar
unterschiedlichen einstellung zum wechsel der zeiten. hier wird niemand
charakterisiert, hier fällt jeder charakter dem oberflächlichen lärm und der
oberflächlichen hektik zum opfer. dass am ende der uralte diener firs in diesem
eindrücklichen sperrholz-desaster, das von der bühne übrigbleibt, einen neuen
kirschbaum pflanzen darf, ist nach diesen zwei stunden unerträglicher
edelkitsch.
Mittwoch, 6. Juni 2012
DAVOS: GUTE FRAGE
"braucht mich das flachland überhaupt?" - diese frage stellt sich hans castorp, der held in thomas manns 1924 erschienenem roman "der zauberberg".
Dienstag, 5. Juni 2012
BREGENZ: DANH VÕ ZWISCHEN DEN WELTEN
ngô
thi ha ist eine alte frau aus vietnam. sie überlebte den tod ihres mannes, der
1961 während der amerikanischen intervention umgebracht wurde; sie überlebte den
tod ihres sohnes, der 1950 einem schlangenbiss erlag; sie überlebte den tod
ihres enkels, der 1975 in den wirren nach dem fall von saigon umkam. als ngô
thi ha vor ein paar monaten starb, erschien in der „los angeles times“ auf der
seite mit den todesanzeigen eine kurze notiz, die an dieses leben erinnerte,
geschrieben von ihrem grosskind, dem künstler danh võ (*1975), der in
kopenhagen studiert hat und in basel lebt. in ein paar wenigen zeilen blitzt
ein bewegtes leben auf. die seite mit dieser unscheinbaren notiz liegt jetzt
auf einem unscheinbaren holztisch im kunsthaus bregenz, wo danh võ für seine
grosse ausstellung alle drei obergeschosse zur verfügung stehen. nur ein paar
wenige objekte stellt oder hängt der künstler in diese riesigen räume: da eine
postkarte, die das martyrium eines französischen missionars im vietnam des
19.jahrhunderts zeigt, dort ein bild von soldaten in uniform, die sich zärtlich
die hand reichen. dazwischen nichts, meterweise sichtbeton, radikale reduktion
statt reizüberflutung. durch diese geradezu mystische leere zwingt danh võ den
besucher zum genauen hinschauen, zur andacht. er nimmt ihn mit auf eine reise –
auf seine reise von ost nach west, die ihm immer wieder neue antworten
abverlangt zu fragen des kolonialismus, der migration, der identität.
Montag, 4. Juni 2012
CHUR: MARÍA DE BUENOS AIRES
die frau, die stadt, der tod. der
schatten von maría wandelt nach ihrer beerdigung ziellos zwischen
grabdenkmälern und schreibt im halbdunkel einen traurigen brief an die bäume
und die kamine der stadt, man möge maría nicht vergessen. „maría de buenos
aires“ ist die tango-oper des argentinischen komponisten astor piazzolla und
des uruguayischen poeten horacio ferrer: sie zeichnen die geschichte der
textilarbeiterin aus den einwanderervierteln, der das bandoneón versuchung und
verhängnis wird, als musikalisch-melancholische metapher für die ganze stadt,
mit all ihren legenden und all ihren dramen. unterstützt von michael zismans
hervorragendem tango-orchester zaubert der choreograph oliver dähler jetzt
einen hauch von buenos aires auf die bühne des churer theaters (ja, chur!), mit
einfachsten mitteln: ein paar flackernde schwarz-weiss-projektionen von
nächtlichen strassenzügen, fahlblaues laternenlicht, halbseidene milonga-eleganz.
ins zentrum rückt er 14 menschen, ältere tänzerinnen und tänzer, allesamt laien
– sie sind die bäume der stadt, die
kamine, die grabdenkmäler. in ihren bewegungen und in den falten ihrer
gesichter sind geschichten festgeschrieben, geschichten von hoffnungen und
ängsten; diese geschichten aus chur vermischen sich mit den geschichten aus
buenos aires. zwei sänger, zwei tango-profis und ein leider oft von der musik
zugedeckter sprecher setzen zwischendurch eigene akzente zu diesem community
dance, vokale und literarische reflexionen über die vergänglichkeit. so
entsteht um maría ein mächtig mäandrierender tango-reigen. eine hymne an eine
stadt. hymne und psychoanalyse gleichermassen.
Freitag, 25. Mai 2012
LUZERN: THUNFISCH ZUR FEIER DER RUNDEN ZAHL
BRANDER LIVE! durfte heute seine
4000. besucherin oder seinen 4000. besucher registrieren. vielen dank für die
aufmerksamkeit! und nun, für alle freundinnen der statistik, zu den details:
der am wenigsten beachtete post war „rom: ins leben“ (februar 12), der
meistgelesene „luzern: la périchole, vermasselt“ (september 11). 4000
blog-gäste, das will natürlich gefeiert sein: mit thunfisch an himbeer-sauce!
erfolg garantiert! – folgendes müsste man dafür im haus haben: 4 tranchen sehr frische thunfischfilets (ca.
600 g), 0.5 dl erdnussöl, 5 cl weisser portwein, 2 dl geflügelfond, 250 g
himbeeren, himbeeressig, 30 g butter, cayennepfeffer, salz und pfeffer aus der
mühle. – himbeeren pürieren und durch ein sieb streichen. thunfisch mit
salz und pfeffer würzen und im erdnussöl wenden. grillpfanne oder bratpfanne
erhitzen und die steaks ganz kurz saignant braten. sauce: portwein und
geflügelfond stark einkochen, das himbeerpüree dazu geben und erwärmen. die in
würfel geschnittene kalte butter mit dem schwingbesen oder einem stabmixer
unter die sauce mischen. mit himbeeressig, salz und cayennepfeffer würzen. dazu
passen basmati-reis oder taglierini und kleines gedämpftes saisongemüse. – dieses
grossartige rezept stammt nicht von mir, sondern von susan huber (die es fürs „hof-kochbuch“
aufgeschrieben hat). sie weiss, wie sehr ich es schätze, und sie freut sich,
wenn sich andere auch daran freuen. natürlich sind die perspektiven für den thunfisch
bekanntlicherweise nicht eben erhebend, aber dieses rezept ist ein wahres
pfingstfest für jeden thunfisch, der sich freut, nicht als massenware in einer
lieblosen sushi-location zu enden.
Sonntag, 20. Mai 2012
LUZERN: KITTELBERGERS KOLOSSALE KOLORATUR-ORGIE
ein fensterloser salon mit
kronleuchter, blitzblankem parkettboden und edlen grünen stofftapeten. in
diesen gepflegten hohen raum schmettert sumi kittelberger noch viel höhere
koloraturen, atemlos und pausenlos und furchtlos. sumi kittelberger ist
sopranistin am luzerner theater und beweist hier seit fünf jahren, dass sie das
mit den koloraturen ganz meisterlich draufhat. jetzt hat das theater extra für
seinen star ein selten bis nie gespieltes öperchen ausgegraben, das weitgehend aus
koloratur-sequenzen besteht: „le toréador ou l’accord parfait“ von adolphe adam
(1849). und da rast frau kittelberger jetzt definitiv auf der koloraturmässigen
überholspur. sie jagt ihre stimme - schier unglaublich - zwei stunden lang
durch triolen und synkopen in immer schwindelerregendere tempi und höhen, bietet
feinste federleichte stimmakrobatik und singt ihre beiden bühnenpartner (flurin
caduff als ehemann/stierkämpfer und utku kuzuluk als verehrer/flötist) charmant
an die stofftapete. johannes pölzgutter gelingt es wunderbar witzig, die
schlichte handlung, wie frau mit zwei rivalisierenden männern glücklich in
einer ménage à trois endet, so an den rand zu inszenieren, dass sie dieses
musikalische feuerwerk nicht weiter stört. eine oper ganz ohne tiefe – aber mit
hunderten von höhenflügen. un petit bijou.
Mittwoch, 16. Mai 2012
ZÜRICH: EINE IKONE DER PISSOIR-ARCHITEKTUR
nun pilgern sie wieder. das mondäne zürich weiss jetzt wieder, wo es hingehört. es hat seine neue ikone: das caffé collana auf der sechseläutenwiese vor dem opernhaus. hier feiern sie ihre stadt und sich, bis der nächste hype sie ins nächste quartier zum nächsten hot-spot schwemmt. in circa zwei wochen also. genau genommen ist das caffé collana ein prominent platziertes pissoir-häuschen mit parkhaus-eingang und bar. die pavillon-architektur mit dem auskragenden dach und den abgerundeten ecken (der "tages-anzeiger" überbiss vor freude) erinnert penetrant an den hamburger jungfernstieg in den späten 50er-jahren. exakt so wurden öffentliche anlagen damals möbliert, herzig, spiessig, miefig, damit sich frau krause und frau schlüter-carstensen bei kaffee und kuchen so richtig wohl fühlen konnten. hoch lebe der jungfernstieg! zürich also ist am bellevue jetzt tief im letzten jahrtausend gelandet. so weit der erste eindruck. und dann das ganze von nahem besehen: dass die weit über hundert cool illuminierten hellen holzwürfel an der decke der bar und die vom jugendstil inspirierten metall-ornamente vor der glasfront je für sich zwar hübsch sind, aber in keinster weise korrespondieren, kann nur auf einen erbitterten design-wettbewerb zwischen architekt und innenarchitekt zurückzuführen sein. zu viele ideen für zu wenig raum. london hat die tate modern von herzog und de meuron, rom hat das maxxi von zaha hadid, luzern hat das kkl von jean nouvel. zürich hat das caffé collana von zach+zünd, das luxuriöseste pissoir-häuschen zwischen moskau und madrid. immerhin.
Sonntag, 13. Mai 2012
MÜNCHEN: FRISCHER SATANSBRATEN
keine zeile bringt der einst
gefeierte dichter walter kranz mehr zu papier. seit jahren. doch dann fällt ihm
endlich wieder ein gedicht ein, ein grosses gedicht: „der albatros“. nur
schade, dass eben dieses gedicht jahrzehnte zuvor schon stefan george geschrieben
hat. in seiner verzweiflung entschliesst sich kranz, stefan george zu werden,
ändert das outfit entsprechend, hält sich hübsche jünger, die ihn bejubeln; nur
mit dem schwul-sein will´s nicht wirklich klappen. what a story! dieses durch
und durch durchgedrehte ding hat sich rainer werner fassbinder ausgedacht und
1976 als „satansbraten“ verfilmt, eine farce über den schnelllebigen kulturbetrieb
jener zeit. fake, remake, plagiat – eine steilvorlage für stefan pucher, der
den braten jetzt auf die bühne der münchner kammerspiele bringt. er macht das
abkupfern zum stilprinzip seiner inszenierung, baut in einem filmset ganze fassbinder-szenen
nach. doch jener zeitgeist hat sich verflüchtigt, weshalb dem höllenspektakel hier
dringlichkeit und schärfe fehlen. freut man sich halt, die schauspieler aus der
obersten liga mal beim klamauk-machen für sich zu haben: sie kochen rührei,
sammeln fliegen, killen edelnutten und wolfgang pregler – als kranz immer im
zentrum – wuselt als selbstgefälliger wichtel und arroganter widerling durch
diese welt und seinen grössenwahn. und ja, übrigens, weil das mit dem gedicht
nichts wurde, wirft sich kranz am ende des stücks auf einen roman, einen wirklich
grossen roman, der titel lässt da keinen zweifel: „keine feier für den toten
hund des führers“.
Samstag, 12. Mai 2012
LUZERN: WARUM JOURNALISTEN TWITTERN SOLLTEN
140 zeichen! was lässt sich schon sagen in dieser kürze? und warum eigentlich gerade mal 140 zeichen? die einwände sind immer die gleichen, einigermassen abgelutscht mittlerweile. viele finden twitter doof und einige finden es total doof. das kann man niemandem verübeln. journalistinnen und journalisten würde eine leicht differenziertere betrachtungsweise dieser 140-zeichen-welt nicht schlecht anstehen. auf twitter können sie nämlich etwas lernen und täglich neu üben, was nicht mehr alle einwandfrei beherrschen: die kunst der gepflegten zuspitzung. einen sachverhalt, eine information mit 140 zeichen gleichermassen präzis wie prägnant auf den punkt bringen, das kann nur, wer die fakten klar vor augen hat. fokussieren, bündeln, feilen, überdenken, feilen, weglassen, neuer anlauf, neue idee, feilen – die kunst des zuspitzens muss trainiert werden, immer wieder aufs neue. auf twitter übt man vor publikum: dass twitternde journalistinnen und journalisten unter ihren followern viele opinion leaders haben, weckt den ehrgeiz, mit den zugespitzten botschaften wirklich wahrgenommen und verstanden zu werden; dass sich unter ihren followern zudem auch viele berufskolleginnen und –kollegen finden (von den mitarbeitenden der srf-regionalredaktionen beispielsweise twittert aktuell knapp die hälfte), garantiert feedback, meistens sogar witzig und meistens sofort. twitter ist eine plapperbude, ein digitaler dorfplatz. twitter kann man aber auch als kreative herausforderung nutzen, gerade im journalismus, als täglichen fitness-parcours fürs hirn. – und jetzt das ganze noch in handlicher twitter-länge: twitter sollte für journalistinnen und journalisten obligatorisch sein: hier lernen und üben sie die kunst des zuspitzens, immer wieder neu. (exakt 140 zeichen, geht doch…)
Samstag, 21. April 2012
MÜNCHEN: LUISA MILLER HOCH ZWEI
bauernmädchen liebt jungen grafen und
umgekehrt. passt den beiden vätern gar nicht ins konzept, kommt schlecht, gift,
zwei tote (ein bauernmädchen, ein junger graf). als verdi sich mit 35 von den
grossen historischen stoffen abzuwenden und das individuum ins zentrum zu
rücken begann, kam ihm schillers „kabale und liebe“ gerade recht: so entstand
seine „luisa miller“ – musikdrama statt opernkonvention, sich entwickelnde motive
statt stereotype mitpfeif-nummern. in seiner inszenierung für die bayerische
staatsoper legt claus guth die oft unterschätzten qualitäten dieses werks auf
eindrückliche weise frei. hier geht es um psychologie, um projektionen von liebenden
und vor allem von vätern, die güte und strenge vortäuschen, wo purer egoismus
regiert. diese kalten gefühle stellt guth in kalten hohen räumen aus, durch die
– vorahnung – immer wieder ein trauerzug wandelt. den vier zentralen figuren
gesellt er lebendige spiegelbilder bei, verdoppelt und vervierfacht so ihre sehnsüchte
und ihre nöte, baut mit diesen spiegelungen nachtblaue seelenpanoramen und
galliggrüne vexierbilder. noch selten hat ein regisseur so viel präzise
intellektuelle vorarbeit nicht einfach nur ins programmheft geschrieben,
sondern optisch dermassen sinnlich und tiefrührend umgesetzt. das funktioniert
nur, weil serena farnocchia (luisa), ramon vargas (rodolfo), zeljko lucic
(miller) und christof fischesser (conte di walter) nicht nur herausragende
sänger sind, sondern auch kongeniale darsteller.
Freitag, 20. April 2012
LUCERNE-SUR-MER: THUNFISCH AUF FRÜHLING
früher hätte sowas – bei betty bossi oder vor allem in deutschen kochbüchern – fischgemüseeintopfhausfrauenart geheissen. ich nenn´ es der einfachheit und dem kulinarischen zeitgeist halber jetzt mal „le thon grillé sur son lit de printemps“. man nehme, für zwei personen: 1 handvoll frühlingskartoffeln, 1 grüne peperoni, 1 fenchel, 1 bund dill, 1 bund italienische petersilie, 1 zitrone, 2 gramm safran-puder, 1 nicht zu kleines glas pale dry sherry, 2 tranchen thunfisch (je ca. 150 gramm), olivenöl, salz, pfeffer. los geht´s: gemüse in würfel und streifen schneiden, in der bratpfanne dünsten, im durchaus noch knackigen zustand sherry und safran darunter rühren; in gratinform füllen und im ofen warm halten; thunfisch salzen und pfeffern und auf beiden seiten sehr kurz anbraten; dann den thunfisch zusammen mit gehackter petersilie und dill auf dem gemüse drapieren; ein paar spritzer zitronensaft darüber. ziemlich einfach, ziemlich frisch, ziemlich gut das ganze. – und wenn´s doch ein bisschen üppiger zugehen soll in der fischküche, dann gibt´s in diesem blog ein paar etagen tiefer (april 2011) immer noch das beste bouillabaisse-rezept aller zeiten.
Montag, 16. April 2012
MÜNCHEN: DER RHYTHMUS DES WAHNSINNS
kein medikament auf erden könnte dem leben irgendeinen sinn geben. eine wunde öffnet sich wie ein leichnam und brüllt ihre stinkend verfaulende trauer heraus. schwarzer schnee fällt. das sind sätze von sarah kane. – mit 28 hat sich sarah kane in einer londoner psychiatrie erhängt. davor schrieb sie fünf unheimliche stücke, um der hölle zu entfliehen, die chronik eines angekündigten todes. die letzten drei dieser fünf stücke zeigt johan simons, der intendant der münchner kammerspiele, jetzt - zum triptychon verdichtet - an einem abend. es ist dies eine bebilderung extremer zustände. in „gesäubert“ verlegt simons die gewaltexzesse erwachsener in die welt spielender kinder, die noch keine moral kennen. in „gier“ lässt er zwei frauen und zwei männer zusammenhanglose satzgeburten aus psychotischen episoden als staccato-quartett rezitieren. in „4.48 psychose“ schliesslich grundieren eine pianistin und fünf streicher den rhythmus des wahnsinns, den thomas schmauser in seinem finalen monolog obsessiv anschlägt: alptraum, panik, todesnähe, selbstzerstörung. ein abend voller verzweifelter momente („wem ich nie begegnete, das bin ich“), der über dreieinhalb stunden einen bestürzenden sog entwickelt. über der bühne und im zuschauerraum hängen dutzende von grossen weissen lampions, im ersten teil luftig-leicht, im zweiten teil bewegt und verregnet, im dritten teil durchnässt auf den boden klatschend. bilder einer zerfetzten seele.
Sonntag, 15. April 2012
MÜNCHEN: RICHTIG SCHWANGER
kurz vor beginn der vorstellung betritt eine sprecherin des münchner volkstheaters die bühne und weist darauf hin, dass die schauspielerin barbara romaner „richtig schwanger“ sei und man sich dadurch „bitte nicht irritieren“ lassen solle. mal was neues, auch für den geübten theatergänger. und tatsächlich: elfter monat, mindestens. der hinweis drängt sich auf, denn frau romaner spielt die „anna karenina“, die zu beginn von leo tolstois roman in einer zutiefst erkalteten ehe alles andere als hochschwanger ist und sich dann in den feschen rittmeister wronski verliebt, von dem sie schwanger wird, deutlich später allerdings. die inszenierung von frank abt lebt von zwei zentralen einfällen. wichtige sätze lässt er wiederholen, noch und noch, zum teil von mehreren schauspielern; diese permanenten bedeutungsschwangeren text-loops nerven zunehmend. dafür wirkt die zweite konzeptidee umso bestechender: weil bei ehebruch und scheidung die abwesenden dritten (ehemann, schwester, früherer liebhaber, kinder) bewusst oder unbewusst immer präsent sind, werden sie hier direkt ins spiel einbezogen, stehen dazwischen, sitzen daneben, wechseln blicke, verstricken sich, sprechen gar sätze von handelnden mit – das netz des unglücks in seiner vollen ausdehnung. den bogen vom 19. ins 21.jahrhundert schliesslich schafft diese inszenierung unaufdringlich elegant, indem sie die sehr heutigen, jugendlichen schauspieler auf einer sehr heutigen, quasi leeren bühne, aber in den üppigen kostümen der damaligen zeit agieren lässt. ein abend voller leben und leicht bis mittelschwer überladen. tolstoi also richtig schwanger.
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