Montag, 21. März 2016

STUTTGART: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN

in den fahl erleuchteten und garstig möblierten sälen und hallen des círculo de bellas artes in der calle de alcalá in madrid treffen sich künstlerinnen und künstler, spielen billard, malen schöne nackte frauen, rauchen und debattieren. ein hässlicher ort, ein gemütlicher ort. anna viebrock hat christoph marthaler diesen círculo auf die bühne gebaut für „hoffmanns erzählungen“, erst im teatro real in madrid, jetzt an der staatsoper stuttgart. einen treffenderen schauplatz kann man sich kaum vorstellen, so wie marthaler dieses drama des erfolglosen, alternden künstlers erzählt. im olympia-akt umgibt er ihn noch mit surrealen und extrovertierten gestalten, frauen mit rauschebärten, kellner mit ganzkörperzuckungen, rambazamba total. doch die figuren werden zunehmend farb- und die stimmung im círculo trostloser – bis die verlorenheit dieses vergeblich nach glück und erfolg suchenden den ganzen raum füllt. marc laho spielt diesen hoffmann mit geschmeidig hellem tenor und dunklem gemüt, seine erzählungen sind anklage und hilferuf, doch sie verhallen, derweil das immer spärlicher werdende marthaler-personal im halbdunkel nur noch redundant rumschlurft und choreografin altea garrido den saftlosen künstlern fernando pessoas „ultimatum“ entgegenschleudert: „schleicht euch, ameisenhaufen-giganten, ihr von eurer originalität trunkenen bürgersöhnchen usw. usw.“ weil marthaler sich seit vier jahrzehnten mit der situation des künstlers auseinandersetzt und dirigent sylvain cambreling bald ebenso lang mit dieser komplexen (und unfertigen) partitur offenbachs, ist ein grossartiger abend entstanden, ein abend von aussergewöhnlicher dichte und berückender tiefe, regietheater im besten sinne.

Sonntag, 6. März 2016

LUZERN: 5/285

BRANDER LIVE! 5 jahre seit dem start in hamburg. 285 posts. herzlichen dank für die aufmerksamkeit. und weil sich meine lyrik schlecht verkauft, werde ich auch künftig eher bloggen.

Sonntag, 21. Februar 2016

ZÜRICH: HEXENJAGD

grobe stoffe, grobe muster: die kostüme weisen in ein vergangenes, ländliches amerika. dieses amerika hat platz auf einem sandigen rechteck in der zürcher schiffbauhalle; das publikum sitzt auf allen vier seiten, dicht dran. die "hexenjagd" ist angesagt, die auf tatsächlichen ereignissen in massachusetts im jahr 1692 basiert und von arthur miller 1953 als parabel zur zeit der grossen kommunistenhatz geschrieben wurde. regisseur jan bosse verzichtet verdienstvollerweise auf eine aktualisierung mit dem holzhammer, die bezüge ins jetzt stellen sich im kopf auch so sofort ein. mädchen, die im wald nackt tanzen, bringen ein ganzes städtchen durch- und hintereinander, keine traut keinem mehr, denunziation und eskalation total. das hervorragende schauspielhaus-ensemble holt sich den teufel subito in die mitte, mit schärfe und tempo wird die hysterisierung auf die spitze getrieben, die eigendynamik dieses alle-gegen-alle brutal ausgekostet. bis zur pause. dann setzt bosse, der exorzismus hat's ihm zu sehr angetan, plötzlich auf effekte en masse: birken verfärben sich blutrot, trockeneisschwaden werden über den sand gejagt, grabkreuze unter scheinwerferblitzen in den boden gerammt, der pastor mutiert zur pastor-karikatur - man wähnt sich in einem musical. und das hochpräzise, detailgenaue ensemble säuft total ab in dieser plakativen orgie, weg ist die dichte der ersten hälfte, weg ist die dringlichkeit des stoffes. so schnell geht das.

Samstag, 13. Februar 2016

MÜNCHEN: KULTURGESCHICHTE 1880-1983

fein säuberlich klebt die dame 16 postkarten auf einen weissen karton, vier in der höhe, vier in der breite: ansichten von stränden, palästen, flugplätzen, bergtälern und immer wieder grossstädtischen boulevards, älteren und neueren datums, mal passen sie thematisch oder geografisch zusammen, mal nicht. den weissen karton mit den 16 karten fügt sie in einen schlichten holz-passepartout. und klebt die nächsten 16 karten und wieder 16 und wieder. hanne darboven lebte und klebte von 1941 bis 2009. es sind nicht dutzende und auch nicht hunderte ihrer holzrahmen, die jetzt im grössten saal im haus der kunst in münchen hängen, es sind 1590. raumfüllend. überwältigend. 1590 holzrahmen mit ansichtskarten, ab und zu auch um "spiegel"-titelbilder drappiert ("mao ist tot - was wird aus china?") oder um schwarz-weisse promi-porträts. so redundant die ganze installation formal wirkt, so vielseitig und anregend ist sie im detail. man wünschte sich immer wieder eine leiter, um auch die oberen bilderreihen zu erhaschen. der titel "kulturgeschichte 1880-1983" ist keineswegs zu hoch gegriffen. denn was auf den ersten blick auf archivierungswahn hindeutet, ist in wirklichkeit ein faszinierendes jahrhundert-panorama, das die frage ins zentrum rückt, wie geschichte, politik, kultur überliefert wird. ein monument der erinnerung.

Donnerstag, 11. Februar 2016

MÜNCHEN: FIDELIO

wieder einmal ist das bühnenbild eine überwältigende bühnenskulptur: rebecca ringst hat für calixto bieitos „fidelio“-inszenierung an der bayerischen staatsoper ein senkrechtes labyrinth aus plexiglas, stahl und neon geschaffen. es blitzt und leuchtet und spiegelt und macht als florestans kerker genauso was her wie als symbol für die seelischen irrwege der menschen. leonore singt auf dem weg zur befreiung des gefangenen gatten nicht nur beethoven, sie zitiert auch borges: „das labyrinth ist eine art von furcht, weil wir darin verloren sind, aber die hoffnung ist, dass es ein zentrum gibt.“ anja kampe gestaltet diese leonore ergreifend als plädoyer für zivilcourage und mut, eine hin- und mitreissende kämpferin für gerechtigkeit und freiheit – sie ist das zentrum. zubin mehta, der mit bald 80 an das dirigentenpult zurückgekehrt ist, wo er von 1998 bis 2006 generalmusikdirektor war (und vom münchner publikum mit dem allerherzlichsten applaus zurückempfangen wird), lässt die utopischen dimensionen von beethovens einziger oper breit und warm leuchten. doch regisseur bieito betont immer wieder die fragilität dieser utopie, indem er dem wohlklang verstörende bilder entgegensetzt: ein gefangener nimmt sich an der bühnenrampe das leben, und der grosse wohltäter fernando tritt mit der grimmigen joker-maske aus „the dark knight“ auf. vor dem strahlenden finale erklingt als kontrastprogramm beethovens streichquartett op. 132 a-moll, schwerste melancholie, die vier musiker sitzen in gitterkäfigen über dem labyrinth. freiheit ist das thema. nicht euphorie. 

Dienstag, 9. Februar 2016

MÜNCHEN: LA SONNAMBULA REMIXED

bellinis belcanto-orgien werden in der kleinen kammer 3 der münchner kammerspiele mal von einem flügel begleitet, mal von einem keyboard, einem plattenspieler, einer spielkonsole oder einem hammerklavier. und immer vom selben mann: daniel dorsch, klanggestalter, der sich zwischendurch ans publikum wendet und („wo waren wir stehen geblieben?“) in einer perfekt im dramaturgenslang getränkten parodie die dimensionen der junggesellenmaschine und die apotheose der braut als deren motor zu erklären versucht. dabei ist in bellinis „la sonnambula“ alles ganz einfach: amina verliert kurz vor der hochzeit ums haar den bauernburschen elvino, weil sie – schlafwandelnd – versehentlich in den armen des gutsbesitzers rodolfo landet; bellini braucht nur zwei akte, bis das wieder geklärt ist. yuka yanagihara als amina verfügt über einen zauberhaften sopran, kraftvoll, präzis und schmeichelnd bis in die vielen heiklen koloraturen – ein genuss. elvino dagegen, eigentlich der tenor, kann hier nicht singen (es ist der schauspieler hassan akkouch), und rodolfo, eigentlich der bariton, versucht es schon gar nicht, sondern spielt seine arien auf der trompete (das löst der jazzer paul brody auch im bademantel ganz meisterhaft). der ungarische regisseur david marton verfolgt den anspruch, oper jenseits aller opernkonvention zu zeigen, und zaubert zwischen dem original, alten callas-aufnahmen,  jazz und immer wieder auch italo-pop einen höchst vergnüglichen abend, der in den grossen musikalischen momenten überraschend stimmungsvoll gelingt. bellini remixed, er hat´s überlebt, die traditionellen opernfans im publikum nur knapp.

Montag, 25. Januar 2016

MÜNCHEN: MITTELREICH

die geschichten und die gefühle von drei generationen: in „mittelreich“ verknüpft und verdichtet josef bierbichler meisterhaft die grossen themen und neurosen des vergangenen jahrhunderts – hartes bauernleben, antisemitismus, kriegstrauma, missbrauch. aus diesem grossen familienroman macht die regisseurin anna-sophie mahler an den münchner kammerspielen ein grosses musiktheater. die beerdigung des alten seewirts nimmt sie als ausgangspunkt, um die reichen erzählstränge gleichsam von hinten aufzulösen, mit dem vom jungen vokalensemble münchen gesungenen brahms-requiem als leitmotiv: selig sind, die da leid tragen. in einem in die jahre gekommenen wirtshaussaal, der bierbichlers „fischmeister“ in ambach nachempfunden ist, entwickelt sich ein stimmiges und mehrstimmiges theater der assoziationen. die figuren überlagern sich, die jahre überlagern sich, die gedanken überlagern sich. stefan merki, steven scharf und thomas hauser teilen sich die beiden rollen des seewirts und seines sohnes semi fliessend, erzählend, spielend, auch singend. und annette paulmann ist sowohl die kammersängerin, die den talentierten jungen vom land der kunst zuführen will, als auch die wirtin und mutter, die die führung übernimmt, als ein sturm das dach und des gatten innere ruhe wegfegt. in einfachsten konstellationen – mal sitzen alle um den einzigen tisch, mal steht einer in der tiefe des raumes am fenster – findet bierbichlers pralle sprache genauso platz wie die tiefe melancholie dieser grossen bayern-saga. und immer wieder brahms: selig sind, die da leid tragen. nach den tränen die freude? wirklich?

Sonntag, 24. Januar 2016

MÜNCHEN: WER HAT ANGST?

„es war der rasenmähermann.“ es ist eine erotische phantasie aus längst vergangenen tagen, die martha vor ihrem gatten und ihren gästen hervorkramt, alle sturzbetrunken. und wie bibiana beglau für diesen rasenmähermann ihre stimme in die tiefe kippt, ein r ums andere rollt und die silben dehnt, das hat etwas urkomisches und beängstigendes zugleich. edward albees „wer hat angst vor virginia woolf?“ ist mittlerweile 54 jahre alt, aber als prototyp des modernen ehekriegsdramas immer noch erstaunlich frisch. wenigstens mit der beglau als giftschlange martha, die ihren gatten permanent erniedrigt und verletzt und das junge ehepaar, das zum nächtlichen absacker vorbeischaut, mehr schockiert als beeindruckt. martin kušej stellt die vier am münchner residenztheater auf einen quer über die bühne gedehnten weissen laufsteg: hier wird gesoffen – blackout - und gesoffen und intrigiert und – blackout – gevögelt. davor ein riesiger scherbenhaufen aus whisky- und cognacgläsern und -flaschen, dahinter eine weisse wand. da bleibt bei allem darstellerischen furor (neben beglau norman hacker als zynischer gatte, nora buzalka als honey und johannes zirner als nick) wenig tiefe, optisch nicht und psychologisch nicht. viel gepflegte flachmalerei, viel gehobener boulevard. und wenn auf diesem schmalen und brutal ausgeleuchteten schlachtfeld der illusionen und verpassten chancen gegen ende plötzlich doch noch echte gefühle auftauchen, muss man nach dieser überdosis alkohol mit dieser überdosis kitsch erst einmal fertig werden.

Freitag, 1. Januar 2016

WROCŁAW: KULTURHAUPTSTADT

wrocław/breslau. kulturhauptstadt europas. ab heute. polen. ausgerechnet jetzt. dranbleiben.

Sonntag, 20. Dezember 2015

MÜNCHEN: PHILOKTET

das ist grosses schauspielertheater. drei männer, zwei stunden, ein konflikt. die schlacht um troja scheint odysseus nur noch mit dem überragenden bogenschützen philoktet für sich entscheiden zu können, doch den hat er wegen einer arg stinkenden wunde vor jahren kaltblütig ausgesetzt. also schickt er den unbelasteten jüngling neoptolemos vor, um den ausgesetzten für sich zurückzugewinnen. ein verhängnisvolles dreieck, eine zeitlose konstellation: ein machtmensch, ein aussenseiter, ein vermittler. das politische und das private überlagern sich allgegenwärtig. worte werden hier zu waffen – das beabsichtigte heiner müller in seiner sprachmächtigen zuspitzung von sophokles‘ „philoktet“ und das unterstreicht der bulgarische regisseur ivan panteleev mit seiner inszenierung am cuvilliéstheater der münchner residenz. worte sind waffen, ob geschleudert, gefeuert oder taktisch subtil und schleimerisch eingesetzt: sie verwunden und sie töten. shenja lacher (odysseus), aurel manthei (philoktet) und franz pätzold (neoptolemos) sind drei energiegeladene und hochpräzise schauspieler, die jedes wort auch körperlich umsetzen, ihm seine unmittelbare wirkung geben und sein nachhaltiges echo lassen, was durch den wunderbar leeren, nur mit daunenfedern bedeckten bühnenraum von johannes schütz eine zusätzliche dimension gewinnt. es zucken die worte, es zucken die gedanken, es zucken die gesichter. lauter monologe und dialoge und erst nach zwei stunden dann das finale terzett, wo sich die drei im stakkato konfrontativ und überlagernd vorhalten, was ihr jeweiliges handeln oder nicht handeln für individuelle oder politische konsequenzen nach sich ziehen wird. ein terzett der ohnmacht, ein terzett der ausweglosigkeit, ein terzett hin zum tod.

Freitag, 18. Dezember 2015

MÜNCHEN: DER SPIELER

vier clevere schulkinder lesen und spielen sequenzen aus dostojewskis „der spieler“. wie aus einer fernen, fremden welt. fünf schauspieler lesen und spielen ebenfalls szenen aus diesem roman. wie aus einer sehr nahen, sehr vertrauten welt, die vom geld getrieben wird und nur vom geld. was die kinder und die erwachsenen verbindet, sind mehrere dutzend umzugskartons: das symbol des unterwegsseins, des unbehaustseins, des suchens als bühnenbild und spielmaterial für grosse und kleine schauspieler, die sich immer wieder begegnen und spiegeln. christopher rüping zeigt in seiner inszenierung an den münchner kammerspielen eine annäherung an diese russische gesellschaft, die im fiktiven roulettenburg ultimativ dem glücksspiel verfällt und dabei geld und gefühle gleichermassen verjubelt. thomas schmauser in der titelrolle als privatlehrer mit casinodrang hat gefühlt alle zehn minuten eine schreiarie, einmal darf er – durchaus beeindruckend – auch tierstimmen imitieren; der weg des spielers in die verzweiflung und einsamkeit wird hier also permanent und penetrant akustisch markiert. dieser abend ist alles: brülltheater, dancefloortheater, videotheater, hüpfburgentheater. und dieser abend ist nichts: die figuren bleiben eindimensional, der diskurs und die atmosphäre auf der strecke, dostojewski verhackstückelt,  die regie findet keinen rhythmus. dieser abend ist alles und nichts, er ist mal erheiternd, oft ernüchternd und mit vielen längen vor allem auch sehr ermüdend. für die kinder gab´s am schluss herzlichen beifall, fürs regieteam üppig buhs. christopher rüping ist ab nächster spielzeit hausregisseur an den kammerspielen. mal sehen.

Mittwoch, 18. November 2015

MÜNCHEN: IVO

bastian, caroline, colin, daniel, irina, jonathan, maike, merlin, nurit, philipp. schöne namen. vier frauen, sechs männer, zwischen 21 und 27 jahre alt. sie sind der vierte jahrgang der otto-falckenberg-schule in münchen, abschlussklasse. sie sind die schauspielerinnen und schauspieler von morgen. ivo ist die abkürzung des grauens für alle schauspielschüler. ivo, intendantenvorsprechen. da sitzen sie dann, die theaterleiter und dramaturginnen und agenten, und glotzen und mustern und entscheiden über karrieren. die falckenberg-klasse gibt alles, poetisches und plakatives, koltès und kroetz, hofmannsthal und tschechow, allein und zu zweit. die ganze kunst und der ganze schweiss - wie immer beim ivo. doch etwas ist anders: die kammerspiele und der schweizer regisseur boris nikitin haben das vorsprechen dieses jahr zu einer öffentlichen veranstaltung gemacht, das vorsprechen findet vier oder fünf mal statt, mit publikum. beim anschliessenden gespräch neben der bühne wird schnell klar: dieses setting ist eine erlösung für die theaterklasse, weil der saal atmet und reagiert; es ist eine erleichterung für die beobachtenden profis, weil sie mit ihrer unangenehmen rolle in einer masse verschwinden können; es ist ein gewinn fürs publikum, das einen entscheidenden moment in einer schauspielerkarriere live miterleben kann. warum also ist dieses öffentliche vorsprechen die ausnahme, nicht die regel? und warum heisst eine veranstaltung, wo so viel bewegung und musik und emotion und kraft den raum füllt, vorsprechen?

Dienstag, 17. November 2015

MÜNCHEN: ROCCO UND SEINE BRÜDER

„im wohnzimmer der parondis“ steht in roter leuchtschrift auf halber bühnenhöhe oder „im boxclub“ oder „auf dem dach der kirche“. der rest: eine grosse, schwarze, meist leere bühne. der rest also: schauspielkunst – und phantasie des zuschauers, die durch keine umbaupause belästigt wird. so einfach erzählt simon stone, seit dieser spielzeit hausregisseur am theater basel, in den münchner kammerspielen jetzt den neorealismo-klassiker „rocco und seine brüder“ von luchino visconti. stone hat die geschichte der familie parondi, die aus dem armen süden in die grosse stadt im norden zieht, überschrieben: aus italien wird irgendwo, aus 1960 wird 2015, die fünf parondi-brüder sprechen eine sehr heutige, sehr schnelle sprache, alles ist emotional aufgeladen, der klassenkampf kennt keine nebensätze. trotz diesem tempo, trotz den harten schnitten gelingt es dem regisseur, seinen figuren pralles leben mitzugeben, sie zu entwickeln bei ihrem versuch, die vergangenheit hinter sich zu lassen. in der gegenwart dreht sich alles nur ums boxen und um die nutte nadia (wunderbar vielschichtig: brigitte hobmeier), die simone am schluss in seiner verzweiflung ermordet. fünf tolle schauspieler, vier davon neu an den kammerspielen, lassen das traditionelle familienbild und die hochtrabenden zukunftspläne sehr plastisch und sehr rasant ins wanken geraten: „diese stadt bringt uns um.“ aus den zuzüglern wird die neue unterschicht. die migrationsdebatte hat ihr déjà vu.

Donnerstag, 12. November 2015

MÜNCHEN: POLT, POLTER, POLTERABEND

die nürnberger gesellschaft für konsumforschung (gfk) ermittelte die häufigsten gründe für streit unter nachbarn in deutschland: ruhestörender lärm, missachtete nachbarpflichten (treppenhausreinigung usw.), stinkende/dreckige/laute haustiere, unfreundlichkeit, störende besucher, lästiger zigarettenrauch, verdreckte gemeinschaftsräume. welches gewicht dieser kleinkrieg im alltag der deutschen hat, welche bedeutung für die befindlichkeit dieser nation, wird erst dadurch vollumfänglich klar, dass gerhard polt ihm ein abendfüllendes programm widmet! zweieinhalb stunden über nachbarschaftsstreitereien!! an den münchner kammerspielen, dem theater der ganz grossen themen und konzepte!!! „ekzem homo“ heisst die veranstaltung, der mensch als plage. kulminationspunkt der poltschen volkskunde ist der satz: „um einen anderen umzubringen, muss man ja nicht zwangsläufig religiös sein.“ vereint mit seinen nach wie vor brillanten musikantenkumpeln, den well-brüdern aus dem biermoos, kämpft sich polt durch laubbläser- und grillrauchattacken, die kleingeistigkeit der ortsfeuerwehr bekommt ihr fett ab, die kleingeistigkeit der laientheatergruppe, die kleingeistigkeit der csu und die kleingeistigkeit der katholischen kirche. immer auch liebevoll augenzwinkernd, immer auch mit hundert gramm philosophie, wobei ihm der gute alte nestroy pate stand: der mensch an und für sich ist gut, aber die leut´ sind ein gesindel. die zahl der nachbarschaftsverfahren vor deutschen gerichten wächst. mag sein, dass man als nicht-deutscher die ultimative brisanz der thematik nicht wirklich nachvollziehen kann oder will, doch auch die scharfe beobachtung des rest-publikums lässt kaum zweifel an der gesamtbilanz: der polt war auch schon polter.

Dienstag, 10. November 2015

MÜNCHEN: MÜNCHEN!

"solange die eltern am leben sind, sollst du keine weiten reisen unternehmen." (konfuzius)