ein labyrinth aus glas verstellt die riesige bühne der bayerischen
staatsoper. darin tanzend und taumelnd: die gesellschaft. alkohol, geld,
triebe, kampf der geschlechter, die gesamte choreographie des lebens.
davor, auf knappstem raum an der rampe, ein paar quadratmeter nur und
ein paar stühle, lässt dmitri tcherniakov die tragödie der lulu spielen,
"die tragödie von der gehetzten frauenanmut" nannte sie karl kraus.
dieses fragile kabinett ist als visuelles konzept ebenso überzeugend
(lulus lust, leidenschaft und leiden als spiegelbild der wirklichkeit)
wie für die dauer von vier stunden doch eher redundant und in seiner
räumlichen beschränktheit ermüdend. die dramatische wucht des abends,
seine sprengkraft, entwickelt sich umso mehr im orchestergraben: kirill
petrenko zieht das bayerische staatsorchester - wieder einmal - in einen
sog. die todbringende schönheit lulus, die projektionen der ihr
verfallenen männer, das alptraumhafte der beziehungen, zeugung und
zerstörung - alles, was in alban bergs komplexer melodik angelegt ist,
voller dynamik und dunklem zauber, wird hier aufs prächtigste
ausgestaltet und zu einem musikalischen rausch gesteigert. marlis
petersen als lulu und bo skovhus als dr. schön und jack the ripper
bringen stimmlich genau das mit, was die partitur und die rollen von
ihnen fordern: das obsessive, im anziehenden wie im abstossenden, das
lang anhaltend obsessive. alle lust will ewigkeit.
Sonntag, 27. September 2015
Donnerstag, 24. September 2015
ZÜRICH: MANN/FRAU
"die welt ist wieder männlicher geworden, wir brauchen eine neue feministische welle." stephan kimmig, 56, regisseur, der am zürcher schauspielhaus zurzeit schillers "jungfrau von orleans" inszeniert (im "tages-anzeiger").
Samstag, 12. September 2015
LUGANO: EIN HERZ AUS GRANIT UND BIRNBAUMHOLZ
das kkl sei das vorbild gewesen für ihr lac (lugano arte e cultura),
sagen die luganesi gerne. da muss man als luzerner schon mal kurz
vorbeischauen. lugano im mildesten herbstlicht, giornata
dell'inaugurazione. "il lac è il nuovo cuore pulsante di lugano,
crocevia culturale tra il nord e il sud dell'europa." das pulsierende
herz besteht zunächst einmal aus viel grünem granit (aussen) und viel
birnbaumholz (innen). den granit und das holz kombiniert der tessiner
architekt ivano gianola oft und nicht immer nachvollziehbar mit metall
und/oder glas, dazu da ein kühnes fenster und dort ein labyrinthischer
korridor. nur: kein durchgängiges konzept, keine klare geste. der
birnbaumholz-konzertsaal atmet den kühl-abweisenden charme der grossen
halle des volkes in peking. für 210 millionen hätte das lac ja durchaus
auch ein wurf werden können. immerhin: die lage am see, die tolle
piazza, die ins ensemble integriert ist, und das grosszügige,
lichtdurchflutete atrium haben das potenzial, das lac tatsächlich zum
treffpunkt und zur crocevia culturale werden zu lassen. am ersten tag
fühlen sich die luganesi zwischen granit und nino rota und birnbaumholz
und gioacchino rossini ganz offenkundig sehr wohl. erste anzeichen einer
herzensangelegenheit. das wäre dann die wirkliche parallele zum kkl in luzern.
Sonntag, 2. August 2015
MÜNCHEN: MORE THAN NAKED
so
unerotisch kann tanz sein. so unerotisch kann nacktheit sein. für „more than
naked“ lässt die österreichische choreographin doris uhlich in der münchner
muffathalle zu dancefloor-hits und barockmusik 19 splitternackte tänzerinnen
und tänzer eine gute stunde lang ihre brüste und hintern, ihre pimmel und
oberschenkel schwingen und wabeln und wabern und wabbeln und wabbern. leute,
freut euch an euren körpern, auch wenn da und dort ein paar pfunde zu viel dran
hängen – das soll wohl die botschaft sein. „körperdiskurs“ (programmheft) tönt
natürlich besser und mag die eine und den anderen durchaus inspirieren. unter
dem strich allerdings bleibt mehr transpiration als inspiration: da werden
pyramiden gebaut wie bei grossvater im turnverein, einfach textilfrei. da
werden schwitzende körper aufeinander losgelassen, dass es flutscht und spritzt
und knackt. ziemlich anstrengend für die tänzer, ziemlich anstrengend fürs
publikum. und obwohl es hier offensichtlich um lebenslust und lebenskraft geht,
erinnern gewisse partien, wenn das ensemble sich zäh am boden wälzt, an
leichenberge. die bedeutungsschwangeren leerstellen, die immer wieder
zwischengeschaltet werden, sind vor allem leerstellen. und die muffathalle war
früher ein kraftwerk, keine metzgerei.
Freitag, 31. Juli 2015
MÜNCHEN: WENN DIE HARFE FLÖTEN GEHT
die
idee ist schon hübsch. die pasinger fabrik, ein multikulti-kulturzentrum in der
vorstadt, verwandelt sich im sommer regelmässig in „münchens kleinstes
opernhaus“. in der wagenhalle (kleiner als ein handballfeld) spielen sie dann
zu sprizz und weissbier grosse oper, dieses jahr 36 mal „rusalka“ von antonin
dvorak. andreas pascal heinzmann, der musikalische leiter, schrieb die partitur
um für ein zehnköpfiges orchesterchen. da geht einiges flöten, zum beispiel die
für diese oper nicht unentscheidende harfe (wird durch streicher-pizzicato ersetzt).
dafür werden instrumental-soli viel plastischer als im grossen orchestergraben.
und dann: die stimmen! keine spur mehr von kleinstem opernhaus, sondern eine
von a bis z wuchtige besetzung. die japanische sopranistin ikumu mizushima gibt
der wassernixe rusalka, die aus liebe zu einem prinzen auf ihr element verzichtet
und dann an den intrigen der menschen scheitert, sowohl stimmlich als auch
darstellerisch eine grossartige tiefe. die kälte des mondes, den die
inszenierung von julia dippel gross ins zentrum der kleinen bühne rückt,
erfasst diese wasserfrau zunehmend und – weil wir so nahe dran sitzen –
sichtbar. der prinz stirbt in ihren armen und beinahe auch in unseren. der
zauber von dvoraks überaus vielschichtiger märchenmusik berührt gerade auch in
dieser neuen, reduzierten dimension. münchens kleinstes opernhaus, allerliebst.
Dienstag, 28. Juli 2015
MÜNCHEN: DON CARLO
im nachthemd sitzt der spanische könig auf der bettkante, unruhig, fassungslos,
allein. er beklagt, dass seine frau ihn nicht liebt, nie geliebt hat, weil sie
schon vor ihrer politisch motivierten vernunftehe seinem sohn carlo zugeneigt
war. er beklagt, er jammert, steht auf, legt sich wieder hin, wälzt sich
verzweifelt auf dem bett. zwischendurch packt er die prächtige purpurrote
königsrobe, wohl in der hoffnung, dieses äusserliche zeichen seiner macht möge
ihm halt geben in seinem privaten unglück, und lässt sie wieder fallen. rené
pape singt diesen philipp II. hinreissend und spielt berührend: "ella giammai
m'amò." weil diese intimen momente, die die menschen hinter den königlichen und
kirchlichen macht- und drohkulissen zeigen, so präzis gearbeitet sind, entfaltet
jürgen roses inszenierung von verdis "don carlo" an der bayerischen staatsoper
immer noch eine enorme kraft, obwohl seit der première 15 jahre vergangen und
längst andere sänger im einsatz sind. auch die bühne erweist sich als zeitlos:
ein dunkler, sich nach hinten arg verengender raum wird zum kerker für alle
menschlichen regungen, ein raum zum ersticken. einen ähnlich intensiven eindruck
wie rené pape hinterliess in unserer vorstellung auch der italienische bariton
simone piazzola als posa, der mitfühlende freund und vermittler. die übrigen
stimmen (alfred kim als don carlo, anja harteros als elisabetta, anna smirnova
als eboli) sind für sich alle hochkarätig, wollten aber unter der leitung von
asher fisch kein rundes ganzes ergeben. was man bei einer aufführung im rahmen
der opernfestspiele und entsprechenden preisen doch eigentlich erwarten
dürfte.
Sonntag, 26. Juli 2015
MÜNCHEN: TOT ZIENS JOHAN
jetzt geht er also zurück nach holland, johan simons, während fünf jahren
intendant und zuvor bereits regisseur an den münchner kammerspielen. tot ziens
johan, steht über dem bühnenportal, leb wohl. an seinem letzten abend spielen
die stars seines ensembles noch einmal seinen "hiob". es ist die 80. vorstellung
seit der première im april 2008. und weil sie ein aussergewöhnliches ensemble
sind, erreichen sie auch in dieser 80. vorstellung eine spannung und eine
emotionalität und eine poesie, als wär's die première. es ist auch ihr letzter
abend und sie bezeugen damit ganz trefflich, was simons in seinem
abschiedsinterview mit der "süddeutschen zeitung" zur rolle des deutschen
stadttheaters und seiner zukunft gesagt hat: "das theater hat eine ungeheure
kraft, weil es alle disziplinen in sich vereinen kann. damit steht es mitten in
der welt. und es ist live, das ist in diesen digitalen zeiten eine nicht zu
unterschätzende qualität." das publikum bedankt sich für diese ungeheure kraft
und die vielen magischen momente mit einer standing ovation. die simons-truppe,
am schluss vollständig auf der bühne versammelt, applaudiert zurück. tot
ziens.
Mittwoch, 8. Juli 2015
FRANKFURT: DON GIOVANNI, VOM ENDE HER
don giovanni ist müde geworden. er
geht langsam, leicht gebückt, setzt sich immer wieder hin und braucht gegen
ende einen stock. und durchaus synchron bröckelt auch das barocke palais, wo er
lebt. die frühere pracht lässt sich noch erahnen, so wie die feurigen blicke
die einstige leidenschaft des grossen verführers immer wieder durchschimmern
lassen. mit seinem wunderbar beweglichen, hellen bariton gelingt dem jungen
daniel schmutzhard das sowohl stimmlich wie darstellerisch eindrückliche
porträt eines alternden mannes: dieser don giovanni erobert nicht mehr, sondern
– wie alfred döblin das formuliert hat – er lacht über seine natur. er geistert
gleichsam durch rückblenden. christof loy arbeitet in seiner inszenierung an
der oper frankfurt mit raffinierten kontrasten: je fahler der titelheld unter
seiner blondgrauen mähne wird, desto mehr farbe und leben gewinnen die anderen
figuren. don giovannis opfer, die frauen und indirekt auch die männer, werden
zu einer quirligen schicksalsgemeinschaft und emanzipieren sich von takt zu
takt mehr. eine schicksalsgemeinschaft sind sie bei unserem besuch auch aus
einem anderen grund: karsten januschke dirigiert sich dermassen lustvoll durch
den höllischen melodienreigen, dass ihm die koordination zwischen
orchestergraben und bühne immer wieder entgleitet. trotz vielen kraft- und
gefühlvollen stimmen also keine tonspur für die ewigkeit. umso nachhaltiger
wirken einzelne bilder, einzelne szenen: ein erotisches tableau, vom ende her
gedacht.
Dienstag, 7. Juli 2015
FRANKFURT: DER ROSENKAVALIER
wer
an den „rosenkavalier“ von hugo von hofmannsthal und richard strauss denkt, hat
immer gleich die bilder im kopf parat: putzige rokoko-interieurs, puder,
perücken, parfümierte parvenus. claus guth (regie) und christian schmidt (bühne)
wählen an der oper frankfurt einen anderen ansatz für das spiel um werden und
vergehen der liebe: das café sperl in der gumpendorfer strasse in wien, wo das
dunkle holz und die düstergelben wände noch heute schwer das ausgehende 19.jahrhundert
atmen, inspirierte die beiden zu einem beklemmenden sanatorium, melancholie
total. hier ist die feldmarschallin patientin, unheilbar, ihre mésalliance mit
dem 17jährigen oktavian scheint in weiter ferne, sie gönnt ihm sein leben, sie
hilft ihm zu seiner sophie, denn ihre zukunft heisst alter, nicht jugend: „man
ist dazu da, dass man’s ertragt. und in dem ‚wie‘ da liegt der ganze
unterschied.“ amanda majeski ist für die rolle der marschallin eigentlich zu
jung – und doch eine traumbesetzung: keine verbitterte frau eben, sondern eine
weise und offene, die das leben liebt und strauss‘ hinreissender melodienfülle
mit lodernder, leichter stimme alles, wirklich alles abgewinnt, das
komödiantische und das tiefschürfende. auch die anderen hauptrollen sind toll
besetzt (paula murrihy, christiane karg, bjarni thor kristinsson), doch ihr
gehört dieser abend: die ganze oper wird – musikalisch und szenisch absolut
konsequent – zu einem einzigen rückzug, einem abschied mit grösse und stil. am
ende, wenn sich die zwei jungen liebenden definitiv gefunden haben, wendet sich die marschallin dezent ab, legt sich aufs klinikbett und lässt los. die vergänglichkeit überholt die
zeit. ein kleines mädchen findet sie zum schlussakkord, kalt.
Samstag, 4. Juli 2015
ZÜRICH: GIANNA UND DIE RÜSTIGEN RENTNER
die
dame gehört nicht mehr zu den jüngsten. die dame sollte bei 31 grad am schatten
eigentlich keinen hochleistungssport mehr betreiben. die dame ist 61. sie trägt
ein weisses t-shirt mit der aufschrift „sex, roll, rock, drugs“. sie trägt
dieses t-shirt zu einer edlen olivfarbenen trainingshose mit weissen streifen
und einer jacke aus rotem leder oder eher kunstleder. das würde bei jeder
anderen frau in diesem alter peinlich wirken. nicht bei gianna nannini. sie ist
so was von fit und so was von gut drauf an diesem traumhaften abend beim „live
at sunset“ im zürcher dolder. ciao a tutti, sagt sie, wie eh und je, und legt
dann los: i maschi innamorati, io senza te, latin lover, oh marinaio, profumo,
america, bello e impossibile. es sind die songs, mit denen frau nannini das
publikum durch die vergangenen vier (!)
jahrzehnte begleitet hat – und dies mit einer beachtlichen erfolgsquote:
viele rüstige rentner summen und pfeifen und klatschen und stampfen mit, was
das zeug hält, und retten ihre wilde vergangenheit in eine immerhin noch
halbwilde gegenwart. älter werden mit gianna, nicht das schlechteste programm.
power und poesie, nicht der schlechteste mix. immer wieder zwinkert sie
jemandem zu, scherzhaft, herzlich, wie unter alten freunden. alles stimmt an
diesem abend, und deshalb schreckt sie auch vor den grössten schnulzen nicht
zurück: „volare“, mit dem domenico modugno 1958 am festival von sanremo abgeräumt
hat, italien ist überall, volare con tutti, nel blu dipinto di blu.
Freitag, 3. Juli 2015
GISWIL: HUISSOSSÄ UND MAGISCHE MOMENTE
am
anfang waren alle skeptisch. die, die’s organisiert hatten. und die, die gar
nicht anders können. doch das volkskulturfest „obwald“ auf der gsang-lichtung
bei giswil wurde schneller als erwartet ein voller erfolg und gehört
mittlerweile zu den sommerlichen musts. auf dem parkplatz autonummern aus
luzern, solothurn, zürich, basel und deutschland - und im publikum sieht man
jetzt, beim zehn-jahr-jubiläum, sogar die eine und den anderen obwaldner, die
anfänglich gar nicht anders konnten als skeptisch-sein. gut so. weiter so. immer
noch braucht’s für die speisekarte übersetzungshilfe: säimerwurscht und
ruichbrot, essiggmiäs, huissossä (das ist kein einheimischer jodel, sondern die
haussauce). lokales auf dem teller, globales auf der bühne: tamara riebli in
obwaldner tracht und nguyen thi trung in vietnamesischer seide machen gemeinsam
den anfang und dann, ja, sind sie alle wieder da zu diesem jubiläum, verteilt
auf zwei wochenenden, die vietnamesen mit ihren saiten- und bambusinstrumenten,
die familia bermudez aus andalusien, für deren flamenco-performance die bühne
verstärkt werden muss, chimi wangmo aus bhutan, die appenzeller, die
toggenburger, die greyerzer. sie wärmen die herzen. und wenn dann (welch klingende namen) omar bandinu, bachisio pira, marco serra und arcangelo pittudu bei vollmond zu ihren
obertongesängen ansetzen, die von tierstimmen, von wind und wellen inspiriert
sind, dann rührt das auch mal zu tränen. die vier sarden sind bekannt als
tenores di bitti, ihre melodien gehören zu den immateriellen kulturgütern der
unesco und sind hier im nächtlichen wald einfach einer von vielen magischen
momenten.
Sonntag, 14. Juni 2015
MÜNCHEN: DER STRASSENKÖTER KOMMT
johan simons also ist auf die zielgerade eingebogen, derweil matthias lilienthal, der künftige intendant der münchner kammerspiele, gerade so richtig warmgelaufen scheint. und es steht nicht zu befürchten, dass er es sich, den kammerspielen und dem münchner publikum zu bequem macht: "ich bin ein kleiner berliner strassenköter, und wenn man dem sagt, geh rechts rum, geht er aus prinzip links rum." das ist, in einem sehr langen interview mit christine dössel von der "süddeutschen zeitung", der allerletzte satz. und also programm.
Samstag, 13. Juni 2015
MÜNCHEN: HOPPLA, WIR STERBEN!
kriegsähnliche
zustände sollen jeweils herrschen bei louis vuitton in münchen, wenn arabische
kundinnen nur drei taschen kaufen dürfen pro person, obwohl sie gerne zehn
hätten. beschluss der geschäftsleitung. kriegsähnliche zustände, sagt zmarak,
der bei louis vuitton gearbeitet hat, im neuen stück von arnon grünberg. der
niederländische autor hat sich für „hoppla, wir sterben!“ während mehreren
monaten von den menschen in dieser stadt, den eingeborenen und den zugereisten,
den auffälligen und den unauffälligen, inspirieren lassen zu einem subtilen
text über identität und internationalität. den roten faden liefert ein
abwesender, oberstleutnant fuchs, der in afghanistan verschwunden ist. frau
fuchs redet über ihn und frau merkel, ein beinloser und ein interkultureller
berater, passanten in allen varianten. die stadt, die sie verbindet, ist in der
inszenierung von johan simons ein gigantisches, zwei stunden lang loderndes
lagerfeuer. hier treffen sie sich oder auch nicht, hier reden sie miteinander
oder für sich. „identität ist ein aufrichtiges spiel mit dem anderen.“ aufrichtig
und unspektakulär spielen sie sich durch grünbergs text - 19 szenen, die
zeigen, wie die globalisierung jeden trifft und jeden anders. es ist johan
simons‘ letzte inszenierung als intendant der münchner kammerspiele: kein
knaller, sondern eine sorgfältige, stille meditation. die offenheit für andere
menschen, andere ideen, andere argumente, die hier während fünf jahren programm
war, sie bekommt noch einmal ihren platz.
Samstag, 11. April 2015
ROMA: TRAUMNOVELLE (DOPPIO SOGNO)
eher
unvorteilhaft gebaute herren in vulgären slips und mit überdimensionierten
winnie-the-pooh-plüschmasken sind nicht das erste, was mir zum stichwort
"erotische phantasien" einfällt. meiner gemahlin übrigens auch nicht.
mit genau solchem personal aber bevölkert regisseur giancarlo marinelli seine
inszenierung von arthur schnitzlers "traumnovelle" am grossen teatro
quirino in rom. das ausgeklügelte spiel zwischen dem arzt fridolin und seiner
gattin albertine, die sich mit erotischen phantasien und geheimen wünschen
zunächst necken und später, wenn sich die grenzen von traum und wirklichkeit
verschieben oder aufheben, zutiefst verunsichern, entbehrt hier jeder
raffinesse; ein gespür für intimere szenen oder für das abgründig-knisternde
der vorlage entwickeln weder regisseur noch schauspieler. da wird nicht mit feinen
verbalen klingen gefochten, sondern mit brusthaarteppichen gewedelt. fridolins
mutter wird unvermittelt zu einer hauptfigur, ihre schimpftiraden auf sohn und
schwiegertochter geraten zu hässlichen und letztlich unmotivierten arien; der
verdacht liegt nahe, dass die ältere kollegin im ensemble auch wieder mal
rollenfutter brauchte. und auch den verdacht, dass einem mit rai und mediaset
sozialisierten publikum selbst ein ernsthafter, tiefgründiger stoff nur noch in
knalliger variété-verpackung zugemutet werden kann, werden wir nicht ganz los.
schnitzler a roma: es war eine art mutprobe.
Mittwoch, 8. April 2015
ROMA: FUTURO
walter
veltroni, ehemaliger bürgermeister von rom und ehemaliger italienischer
kulturminister, hat mit kindern einen film gedreht. über ihre welt. über ihre
geheimnisse. über ihre träume. "i bambini sanno" läuft noch nicht in
den kinos, erst der trailer. und da werden ein paar kinder am schluss gefragt,
ob sie die zukunft eher mit sorgen oder eher mit hoffnung verbinden. ein junge
mit down-syndrom antwortet: "futuro è una bella parola." er sagt es
herzlich und er sagt es überzeugt.
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