Montag, 3. Juni 2024

MÜNCHEN: FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE

immer wieder verliert jakob fabian den boden unter den füssen: mal dreht sich die drehbühne im münchner volkstheater gegen seine richtung, dann stolpert er endlos über treppen oder stürzt über eine riesige rutsche in die tiefe. es geht bergab mit fabian, es geht bergab mit der welt. erich kästners „der gang vor die hunde“ (1931), später überarbeitet als „fabian“, ist zeitpanorama und sozialdrama gleichermassen, der blick aufs grosse ganze schärft sich im blick auf ein einzelschicksal. im pulsierenden zwischenkriegsberlin – das sebastian pircher mit einer raumfüllenden video-orgie grandios hinzaubert – macht fabian gute propaganda für schlechte zigaretten, zieht durch strassen und betten, ohne ehrgeiz und ohne perspektiven, verliert seinen besten freund durch suizid und schliesslich auch den job. anton nürnberg spielt diesen anti-helden überaus differenziert, ein melancholiker mit einer zarten energie. und da er immer wieder wie ein zaungast auf sein eigenes leben blickt, gibt es ihn gleich doppelt, silas breiding umspielt ihn als alter ego, ein erhellender ansatz. alle suchen hier stabilität, wo es kaum welche gibt: was ist morgen? wie kann ich überleben? woher und wozu hoffnung? „der untergang europas ist unaufhaltsam“, sagt fabian einmal zu seinem freund. regisseur philipp arnold nahm das zum anlass, drei junge autorinnen und autoren aus belarus, litauen und der ukraine um neue texte zu beten, die kästners motive ins jetzt weiterspinnen. diese zeugnisse der verzweiflung im wartesaal europa werden nahtlos in die inszenierung eingebaut, berührend und bedrückend und in der parallelität zwischen damals und heute erschreckend: „der zukunft werden sacht die füsse kalt“, schrieb kästner vor 93 jahren.

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