chaos pur – die politischen widerwärtigkeiten der dreissiger jahre, das mitläufertum und die speichelleckereien, die ungebremste karrieregeilheit eines schauspielers plus nervöse blicke hinter die kulissen des theaterbetriebs: aus klaus manns roman „mephisto“ (1936) macht jette steckel an den münchner kammerspielen eine heftige, deftige chaos-collage. in hoher kadenz jagen sich die szenen, die den aufstieg von hendrik höfgen illustrieren, für den der schauspieler gustaf gründgens modell stand, der kulturelle repräsentant der nazis. die ganze spannung, die sein lavieren zwischen kunst und macht aufbaut, das chaos von gefühlen und bildern, das an die nieren geht, entlädt sich nach einer stunde, als sich elias krischke ans schlagzeug setzt für ein explosives solo, ein reinigendes gewitter, huch, endlich. doch weit gefehlt, nichts ist geklärt, alles eskaliert noch zwei stunden weiter, die politischen verhältnisse und die künstlerischen ambitionen, keiner in höfgens umfeld bleibt verschont: geht man mit? bremst man ihn? fulminant stürzt sich thomas schmauser in diese paraderolle, entwickelt – in seinem unverwechselbaren schmauser-stakkato und rosa adidas-höschen – diesen höfgen/gründgens vom schmierig-devoten („ich, begabt? ach, das ist ein ganz unbewiesenes gerücht“) bis zur totalen hybris („die hauptstadt kommt nicht ohne mich aus“), seine falschheit ist seine echtheit. die augenbrauen, die ihm für den grossen auftritt als mephisto geschminkt werden, deuten ein hakenkreuz an. man realisiert das erst auf den zweiten blick und erschrickt. noch vor 10, 15 jahren las man klaus manns roman als düsteres dokument vergangener zeiten, doch jetzt, wo dummes und unreflektiertes wieder massiv aufwind haben, wo die demokratie selbst in den usa und in deutschland gefährdet ist, macht er richtig schaudern.
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