paul
lebt in einem reihenhaus in brügge. zurückgezogen. mit ihm stimmt etwas nicht. er
legt die kleider seiner längst verstorbenen frau aufs bett, riecht an ihrer
parfumflasche, streichelt ihre letzte perücke, eine kammer hat er mit erinnerungsbildern
tapeziert. der tenor rolf romei singt diesen paul am theater basel als einen
von der vergangenheit gleichermassen gejagten und gefesselten; immer wieder
nimmt dunkle verzweiflung seiner hellen stimme die kraft. „die tote stadt“ von
erich wolfgang korngold behandelt einen fall von missglückter trauerarbeit (der
titel nimmt bezug auf die stadt brügge, die wie paul völlig auf das bessere
einst fixiert ist). paul lernt marietta kennen, die seiner marie aufs haar
gleicht, doch charakterlich der pure gegenentwurf ist; helena juntunen singt beide und switcht
beeindruckend zwischen der heiligen und der vulgären. es beginnt eine
verhängnisvolle liaison, die in einem mord endet, der sich dann allerdings nur
als reinigender alptraum erweist: „wie weit soll unsre trauer gehen, wie weit
darf sie es, ohn‘ uns zu entwurzeln?“ regisseur simon stone geht mit freuds
traumdeutung ans werk, die mechanismen der verdrängung faszinieren ihn
sichtlich, er illustriert das innenleben: pauls haus fällt auseinander, er
sucht die türen und die treppen und findet in jedem winkel immer nur – marie,
ohne haare, von krankheit und tod gezeichnet, und noch eine marie und noch
eine. korngold war kaum 20, als er diese trauma-oper komponierte. man muss sich
das vorstellen: vor 100 jahren in wien ein musikalisch hochbegabter jüngling,
der alles aufsaugt und verarbeitet, puccini klingt an, lehár klingt an und die opulente
hollywood-filmsinfonik nimmt er gleich auch noch vorweg. erik nielsen, der neue
chefdirigent in basel, meistert diese gratwanderung zwischen spätromantik und
vollkitsch mit dem sinfonieorchester bravourös, ein vollbad
unterschiedlichster musikalischer emotionen, ganz grosses kino.
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