Freitag, 17. Oktober 2025

LUZERN: DER ZAUBER LETZTER SÄTZE

hat er jetzt „mehr licht“ gefordert oder völlig erschöpft „mehr nicht“ gehaucht? bis heute wird über goethes letzte worte gerätselt. nicht nur jedem anfang, auch jedem ende wohnt ein zauber inne: der charme oder die wucht letzter sätze. man werfe zwecks überprüfung einen blick ganz hinten in die derzeit angesagtesten bücher:
„dann sieht sie, wie sich weit vor ihnen eine schimmernde öffnung in der luft anzeigt, ein riss, ein spalt, ein flimmerndes, instabiles portal.“
(dorothee elmiger, die holländerinnen - deutscher buchpreis 2025)
„gute nacht, mein allerliebster böser vater.“
(leon engler, botanik des wahnsinns)
„ein knall, glas zerbricht, wir springen auf.“
(dmitrij kapitelman, russische spezialitäten)
„auch sie wollten in die schweiz, nach zürich, wo die schwäne weisser sein sollten als ein frisch gewaschenes leintuch.“
(nelio biedermann, lázár)
viel wird über erste sätze nachgedacht und geschrieben. wie fesselt eine autorin ihren leser, ein autor seine leserin? entscheiden sie mit dem ersten satz bereits alles? weitaus entscheidender ist, wie sie und er ihn und sie am schluss entlassen. der zauber letzter sätze: hoffnung, traum, depression, vision, utopie, dystopie, jede menge kino im kopf. der letzte satz in „herscht 07769“, dem letzten grossen roman des diesjährigen literaturnobelpreisträgers lászló krasznahorkai würde den rahmen dieses blogs sprengen. denn der letzte satz ist auch der erste. krasznahorkai will es nicht auf den punkt bringen, das ganze buch ist ein einziger satz. deshalb hier, aus platzgründen, nur das allerletzte wort, unten auf seite 409: „…..nacht“. 
flimmerndes, instabiles portal? böser vater? knall? leintuch? nacht? lektüre als labyrinth, mehr licht, mehr nicht, mehr licht.....

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