Mittwoch, 22. Oktober 2025

CHARKIW: AUF DAS ROSAROTE PONY WARTEN?

„wir gleiten allmählich in die dunkelheit ab. dem drachen des weltkrieges wächst bereits ein dritter kopf, aber die westliche welt schaut gleichwohl nur von der seitenlinie zu und wartet darauf, dass dieses geschwür irgendwie von selbst verschwindet, anstatt dass sie versucht, es abzuschneiden.“ der in charkiw im dritten stock eines hochhauses lebende schriftsteller sergej gerassimow (1964) blickt in einem sehr langen und sehr lesenswerten aufsatz in der „nzz“ in die zukunft. der titel „konturen eines ukrainischen sieges“ tönt zweckoptimistisch, der text bleibt düster: „es wird jahre dauern, bis die eu ihr rosarotes pony fertig trainiert hat, um gegen den russischen bären zu kämpfen, der hungrig und verzweifelt ist.“ natürlich baue das pony muskeln auf und erlerne neue tricks, „aber dennoch scheint es manchmal, dass nicht die ukraine der nato beitreten solle, sondern umgekehrt die nato der ukraine. denn die ukraine versteht viel besser zu kämpfen.“ auch sergej gerassimow zeichnet sich durch diese schier übermenschliche resilienz aus, die vielen ukrainerinnen und ukrainern auch nach dreieinhalb jahren immer noch eigen ist. wie lange noch? wie lange halten die das durch? „nach dem sieg wird auch die ukraine eines tages wiederaufgebaut und wiederhergestellt werden, aber es wird sich um eine andere ukraine handeln. wer ist daran schuld? gewiss auch jene, welche die ukraine seit dreieinhalb jahren als schutzschild zwischen sich und den russischen horden benutzen. nur als schild, nicht aber als schwert. es ist sehr schwer zu gewinnen, wenn man lediglich mit einem schild kämpft.“ man muss gerassimows sätze nicht kommentieren. doch man sollte sie immer wieder lesen.

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