da liegt er, lazarus, aufgebahrt, mitten in der riesigen halle des kulturkraftwerks bergson, mit nacktem oberkörper. ist er tot? bewusstlos? auf der intensivstation? im jenseits? zwei frauen kümmern sich liebevoll um ihn, vielleicht op-schwestern, vielleicht engel. 1820 begann franz schubert die komposition seines wenig bekannten oratoriums „lazarus oder die feier der auferstehung“. lazarus ist mit sich im reinen, freut sich an dem, was war, und ist offen für das, was kommt. auferstehung muss nicht sein, auch schubert schaffte nur tod und begräbnis, das werk blieb ein fragment. studierende der bayerischen theaterakademie und die bergson artists machen daraus jetzt eine überwältigende performance aus musik, text, architektur und licht. und sie stellen lazarus, der mit seinem tod klar kommt, den kriminellen barabbas gegenüber, der auch nach seiner begnadigung absolut nicht klar kommt mit dem leben („ich bin, was ich bin: hass, brennender hass“). martina veh (inszenierung) und joachim tschiedel (musikalische leitung) verweben schuberts feinfühlige arien und chöre und das barabbas-monodrama „the blind“ von richard france zu einem gesamtkunstwerk, gesungen und gespielt wird überall in der halle des ehemaligen heizkraftwerks, auf treppen, ganz oben auf galerien, an der bar. schatten werden lebendig, die toten erheben sich. „im tod fangen wir an zu leben“, ruft einer durch den raum, andere fragen sich, wofür sie gekämpft haben, wieder andere, ob es sich gelohnt hat. ein ambitioniertes projekt, die akustik im bergson ist heikel, nicht alles ist verständlich und viele ideen werden überchoreografiert, doch dass sich hier so junge menschen über die musik so intensiv mit dem thema tod auseinandersetzen, macht den abend in zeiten von krieg und krisen zu einem nachhaltigen emotionalen erlebnis. ganz zart erklingt am ende aus der ferne das sanctus aus schuberts deutscher messe – wie ein lichtstrahl in der dunkelheit, ein funken hoffnung.
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