Sonntag, 13. Oktober 2024

MÜNCHEN: AMERIKA / DER VERSCHOLLENE

die freiheitsstatue dehnt und streckt sich, mustert kritisch das publikum, setzt sich dann an den flügel, der mitten auf der leeren bühne im scheinwerferlicht steht, und singt „new york, new york“ von frank sinatra. der abend beginnt sehr stimmig. miss liberty singt tschechisch, schliesslich kommt der junge mann, der gleich bei ihr eintreffen wird, aus prag. in seinem unvollendeten roman „der verschollene“, der nach seinem tod vor hundert jahren unter dem titel „amerika“ publiziert wurde, spediert franz kafka den 17jährigen karl rossmann in dieses land, das er selber nie bereiste und trotzdem minutiös und beängstigend weitsichtig beschrieb. in der inszenierung von charlotte sprenger an den münchner kammerspielen gibt katharina marie schubert diesen jüngling, keck mit baseball-cap, naiv und neugierig, immer in bewegung, ein liebenswürdiger kerl, der immer an die falschen gerät und immer tiefer in die scheisse und trotzdem weiter an das gute glaubt. doch wir sind bei kafka, der amerikanische traum wird zum albtraum. das gilt auch für alles, was sich um die famose hauptdarstellerin herum abspielt: ein zwar hochkarätiges ensemble in einer allerdings hochgradig wirren show. abraham lincoln im glitteranzug verliert sich zwischen schwingtüren, jeff bezos darf zu einer predigt ausholen, durchgeknallte perücken, peinliches rumgehüpfe, häppchenweise kritik der herrschenden verhältnisse, ein pharma-skandal, ein paar tangoschritte, ein wenig elvis, alles pulsiert und vieles läuft leider ins leere. man leidet mit karl rossmann und der grossartigen schauspielerin, die sich durch diesen ideenbombast kämpft, aber ja, so ist amerika. am ende sind (wir) alle karl rossmann und die freiheitsstatue legt ihre fackel beiseite und zieht sich um. ein abend irr wie trump. 

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