wieder
aufregende schweizer literatur. wieder ein junger mensch, der seine komplexe
biographie schreibend zu ergründen sucht. wieder formale und sprachliche
experimentierlust. wieder ein wuchtiges buch. ein halbes jahr nach kim de
l´horizons „blutbuch“ hat die 24jährige zürcherin mina hava jetzt „für seka“
nachgeschoben, ihren erstling – und den gleich im suhrkamp-verlag. „sie lag im
bett und trug worte an die decke, schlug sie weiss auf schwarzen grund neben
die lampe und drehte sich schliesslich auf den bauch, damit sie verschwanden.“ bosnien,
die heimat ihrer eltern, kriege, gefangenenlager, eine zerbrochene familie. „für
seka“ ist eher literarisches puzzle als roman, inspiriert ganz
offenkundig von w.g. sebalds „korrespondenz mit sich selbst“. mina/seka
recherchiert, sie spannt fäden in die vergangenheit, sie sucht ein anderes
leben, sie löst sich und leidet – und sie schreibt. und wie sie schreibt! in
dem buch stösst man immer wieder auf formulierungen und sätze, die inhaltlich
und sprachlich oft nur minimal vom mainstream abweichen und gerade deshalb
nachhaltig irritieren: über die zeit „als jugoslawien in seine kriege zerfiel“,
über familientreffen, „an denen sie nicht mehr teilnahm, weil sie nicht wusste,
worüber sie schweigen sollte“, und immer wieder über die liebe, die fehlende
liebe: „was von der liebe übrig geblieben war, zerfiel in ein stechendes
gefühl, das sich abends von schlaflosigkeit nährte.“ gefühle und gedanken,
denen man gebannt folgt. „sie stellte sich vor, wie es wäre, darüber zu lesen,
dass ein leben mit mann nur zulasten des intellekts
geführt werden könne, und sah bereits, wie sie zustimmend nickte.“ was für ein
gedanke, was für ein satz, was für ein buch!
Donnerstag, 11. Mai 2023
ZÜRICH: FÜR SEKA
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