Donnerstag, 11. Mai 2023

ZÜRICH: FÜR SEKA

wieder aufregende schweizer literatur. wieder ein junger mensch, der seine komplexe biographie schreibend zu ergründen sucht. wieder formale und sprachliche experimentierlust. wieder ein wuchtiges buch. ein halbes jahr nach kim de l´horizons „blutbuch“ hat die 24jährige zürcherin mina hava jetzt „für seka“ nachgeschoben, ihren erstling – und den gleich im suhrkamp-verlag. „sie lag im bett und trug worte an die decke, schlug sie weiss auf schwarzen grund neben die lampe und drehte sich schliesslich auf den bauch, damit sie verschwanden.“ bosnien, die heimat ihrer eltern, kriege, gefangenenlager, eine zerbrochene familie. „für seka“ ist eher literarisches puzzle als roman, inspiriert ganz offenkundig von w.g. sebalds „korrespondenz mit sich selbst“. mina/seka recherchiert, sie spannt fäden in die vergangenheit, sie sucht ein anderes leben, sie löst sich und leidet – und sie schreibt. und wie sie schreibt! in dem buch stösst man immer wieder auf formulierungen und sätze, die inhaltlich und sprachlich oft nur minimal vom mainstream abweichen und gerade deshalb nachhaltig irritieren: über die zeit „als jugoslawien in seine kriege zerfiel“, über familientreffen, „an denen sie nicht mehr teilnahm, weil sie nicht wusste, worüber sie schweigen sollte“, und immer wieder über die liebe, die fehlende liebe: „was von der liebe übrig geblieben war, zerfiel in ein stechendes gefühl, das sich abends von schlaflosigkeit nährte.“ gefühle und gedanken, denen man gebannt folgt. „sie stellte sich vor, wie es wäre, darüber zu lesen, dass ein leben mit mann nur zulasten des intellekts geführt werden könne, und sah bereits, wie sie zustimmend nickte.“ was für ein gedanke, was für ein satz, was für ein buch! 

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