Freitag, 9. Oktober 2020

MÜNCHEN: TOUCH - ABER WIE?

wuchtiger auftakt zur intendanz von barbara mundel an den münchner kammerspielen: toxisches mintgrün erleuchtet die szene, hinten eine riesige diodenwand, davor treiben schmelzende eisschollen; bühnenbildnerin katrin hoffmann wirft einen kühlen blick in die zukunft. unter dem titel „touch“ packt der neue hausregisseur falk richter alles, was grad scheisse läuft, in einen hochmoralischen und (jelinek nicht unähnlich) hochredundanten text: rassismus, sexismus, nationalismus, massentierhaltung, billigarbeiter, klimakatastrophe, pandemie – ja, ziemlich happig und ziemlich viel auf einmal. doch die schwächen des autors falk richter überdeckt der regisseur falk richter mit seinen stärken. gemeinsam mit der choreografin anouk van dijk und einem in jeder beziehung diversen und auf anhieb phänomenalen ensemble entwickelt er eine universale untergangsshow - viel sinnlicher und differenzierter als der text dies vermuten liesse. aus der zukunft blicken sie wie in einem museum auf unsere gegenwart zurück, auf hypernervöse, von angstimpulsen getriebene menschen. die suchen nach worten für das unsagbare, zucken mit abstandswahn aneinander vorbei, küssen sich durch plexiglaswände, tanzen pas de deux und pas de trois in vollkörperplastikanzügen und immer und überall sehnen sie sich nach berührung, vor allem aber nach sozialer nähe. fluoreszierende farben und stroboskop-effekte verstärken diese vision einer berührungslosen gesellschaft, es ist eine geballte ladung pandemischer tänze. immer wieder reissen sie ihre hemden, blusen und t-shirts hoch und recken dem publikum ihre pochenden herzen entgegen: ja, da ist noch was, und ja, es geht weiter, es muss weitergehen, irgendwie, wie, wie, wie, wie?

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