Samstag, 10. Oktober 2020

MÜNCHEN: HABITAT (PANDEMIC VERSION)

nach 45 minuten die erste umarmung. herzlich und heftig. und dann noch eine und noch eine. nach 45 minuten erst und von kopf bis fuss eingepackt in einen plastikanzug. zuvor sind die sieben tänzerinnen und die fünf tänzer alle nackt in der grossen halle. nackt, mit schutzmaske, jede und jeder für sich allein. das publikum – coronabedingt ganze 32 – sitzt im zwei-meter-abstand den vier wänden entlang. „habitat (pandemic version)“ nennt die österreichische choreografin doris uhlich diese laborsituation, dieses quadrat, auf dem sie mit ihrem ensemble nach neuen formen der bewegung und begegnung sucht, nach kollektiver energie: in absoluter stille winden sich die zwölf schamfrei am boden, sie leiden, sie kriechen, sie wahren die distanz und wirken oft wie gefangen in ihren körpern, schlagen ihre schenkel auf den holzboden, um dann plötzlich zu harten techno-beats ihre sämtlichen glieder und weichteile wild zu schütteln, wie unter strom, zu schwitzen und zu strampeln, die einen ganz und gar lustvoll, andere mechanisch wie roboter. ja, das hat energie, viel energie – doch der dominante eindruck bleibt die verletzlichkeit und die verlorenheit dieser körper in dieser welt, in diesem grossen raum im probengebäude der münchner kammerspiele. der hiess mal spielhalle, dann kammer 2 und die neue intendantin barbara mundel hat ihn jetzt in therese-giehse-halle umbenannt, weil sie die weibliche tradition der kammerspiele verstärkt in den fokus rücken will. „ich bin auch ein sehr verschiedener mensch“, sagte therese giehse – oder: „von mir aus können wir auch ganz anders.“ passt. passt bestens zu diesem habitat: den eigenen körper intensiver wahrnehmen, wenn man die anderen nicht mehr spüren darf, kann ja durchaus ein gewinn sein. bin auch ich ein sehr verschiedener mensch?

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