Dienstag, 13. Oktober 2020

MILANO: AIDA, IN FORMA DI CONCERTO

mal keine pyramiden, keine palmen, keine elefanten, keine fackeln. das ganze brimborium, mit dem die bühnen „aida“ häufig aufpeppen, als hätte verdi den soundtrack zu einem hollywood-brüller geschrieben - für einmal, corona sei dank, alles weg. kein bombastisches ägypten macht sich auf der bühne breit, sondern schlicht das orchester: die mailänder scala zeigt „aida“ in konzertanter version. verdi pur, was für eine chance! man hört diese oper ganz neu, man hört zahllose zarte, lyrische passagen, die in der visuellen reizüberflutung sonst flöten gehen. riccardo chailly dirigiert (drei stunden mit maske!) eine geradezu intime sicht auf die ausweglose dreiecksgeschichte; sie wird hier durch bewusstes gestalten hochdramatisch, nicht durch lautstärke. als besonderen leckerbissen präsentiert chailly den anfang des dritten aktes erstmals in der erst vor drei jahren in einem reisekoffer verdis entdeckten ersten version: der chor der priester am nil mehrstimmig, aus der ferne, eindringlicher als in der heute gängigen fassung. warum verdi von diesen 108 takten abrückte (und sie dann allerdings für sein requiem recycelte) ist unklar. erfreulich immerhin, dass ein traditionshaus wie die scala auch solche neuen fussnoten der musikgeschichte zu gehör bringt. und dann dieser cast: man sitzt in der vierten reihe und hat die ganze aktuelle weltklasse der verdi-interpreten unmittelbar vor sich, aus italien francesco meli als radamès, aus südkorea jongmin park als ramfis, aus der mongolei amartuvshin enkhbat als amonasro, aus spanien saioa hernández als aida und aus georgien anita rachvelishvili als amneris. vor allem diese beiden frauen, die den selben mann begehren, sind hier in ihrer intensiven, verzweifelten, eiskalten rivalität schlicht atemberaubend. theater in corona-zeiten – das sind nicht einfach notlösungen, das können auch absolute highlights sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen