Sonntag, 12. November 2023

MÜNCHEN: ANNE-MARIE DIE SCHÖNHEIT

anne-marie lässt ihr leben revue passieren. 80 minuten lang. anne-marie war eine einigermassen erfolglose schauspielerin aus der französischen provinz, jetzt ist sie alt. ihre freundin und ihr mann sind tot, ihren sohn mag sie nicht. sie redet und redet. zu sich selbst? zu uns? yasmina reza hat das offen gelassen, hingegen hat sie gewünscht, dass ihr monolog „anne-marie die schönheit“ (2020) von einem mann interpretiert wird; das soll die universalität der angeschnittenen themen unterstreichen – und tut es auch. in der inszenierung von nora schlocker am münchner residenztheater spielt robert dölle diese alte frau – graue hose, farbige bluse, platinblonder bob – und er spielt sie brillant. 80 minuten allein auf der bühne, 80 minuten solo vor vollem haus. dölle hat eine wunderbar wandelbare stimme, der man gerne und zunehmend gebannt zuhört. und: er spricht auch mit den augen, die manchmal funkeln und manchmal stechen, mal voller sentimentalität und mal ganz leer sind. dieser schauspieler elektrisiert, er zieht uns voll und ganz hinein in anne-maries leben. so wie er die paar versatzstücke auf der vorbühne (eine türe, ein spiegel) ab und zu wendet oder auch liebkost, so schiebt er die versatzstücke aus anne-maries lebensphasen umher, ein spiel mit erinnerungen. nicht verbittert blickt dölles anne-marie zurück, nein, sie folgt ihren eigenen spuren mit liebe, offenheit und humor. mit vielen rhythmischen wechseln vermengt dieser monolog banalitäten und existenzielles, von den keksen in ihrer jugend landet anne-marie unvermittelt bei ihrer urne: höhenflüge, tiefschläge, vergänglichkeit – anne-marie hält uns allen (m/w/d) einen spiegel vor. man bekommt sie lieb, diese schrullige schauspielerin, man wünscht sich, so entspannt und reflektiert und heiter zu altern.

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