Samstag, 14. Januar 2023

LEIPZIG: OTELLO

statt "otello", nach dem von blinder eifersucht zerbissenen helden, wollte der 74jährige verdi seine zweitletzte oper zwischenzeitlich "jago" nennen, da ihn der rivale mehr interessierte, dieser eiskalte zyniker, der all die verhängnisvollen intrigen spinnt. in leipzig jetzt müsste die oper "desdemona" heissen. regisseurin monique wagemakers rückt das opfer all dieser männlichen machtphantasien und konkurrenzspiele ins zentrum. mit feuerroter mähne steht desdemona auf der dunklen bühne und noch vor dem stürmischen ersten ton werden ausschnitte aus christine brückners berühmtem feministischen monolog zugespielt ("wenn du geredet hättest, desdemona", mittlerweile auch schon 40 jahre alt). mit projektionen auf brautschleier, taschentücher und transparente vorhänge wird während den männlichen ränkespielen - und etwas gar redundant - das vor- und innenleben dieser frau illustriert: leidenschaft, lust, selbstbestimmtheit, desdemona nicht als leidende, sondern im aktivmodus. die australische sopranistin kiandra howarth wie auch xavier moreno als otello und vladislav sulimsky als jago bestechen mit fulminanten stimmen. das eigentliche ereignis des abends findet allerdings im orchestergraben statt: geradezu phänomenal entfaltet das gewandhausorchester unter christoph gedschold den farbenreichtum dieser partitur, mit lyrischer wärme und dramatischer wucht zu den seelischen katastrophen vordringend. diese musikalische höchstleistung gewährt tiefere einblicke in die figuren als dutzende von projektionen. zu verdis zarten letzten takten, nach ihrer ermordung durch otello, erhebt sich die leipziger desdemona und entfernt sich aus dieser femizid-geschichte. ein apotheotischer bogen? weil nicht sein kann, was nicht sein darf?

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