Mittwoch, 18. Januar 2023

MÜNCHEN: L7L - DIE SIEBEN IRREN

„die vergangenheit existiert nicht mehr. die zukunft existiert nicht mehr. die gegenwart ist sand. und im sand wächst nichts.“ sieben gestalten bewegen sich auf dem düsteren platz vor einer lagerhalle, mal reden sie gefährliches zeug, mal reden sie wirres zeug, mal schleichen sie vermummt durchs dunkel, mit fluoreszierenden neonröhren in der hand. an den münchner kammerspielen hat sich der argentinische regisseur alejandro tantanian „die sieben irren“ seines landsmanns roberto arlt vorgenommen, einen dystopischen grossstadtroman von 1929: sieben irre planen eine revolution. tantanians bedrückende inszenierung besichtigt einerseits das original und denkt es anderseits ins heute weiter. annette paulmann ist die heimtückische treiberin, wild mit der suhrkamp-ausgabe des romans fuchtelnd: „fiktion ist der schlüssel zum wandel“, ruft sie dem ensemble und dem publikum zu, das ihr manifest der gedemütigten laut mitlesen soll. so ködert sie verschwörungstheoretikerinnen und erniedrigte – und wer in ihrem neuen geheimbund L7L (los siete locos, nach arlts original) kritische fragen stellt, wird auch mal auf einem operationstisch gefügig gemacht. fiktion ist der schlüssel zum wandel? das endet auch hier in der verklärung falscher ideale und idole, in zerstörungswut und in albträumen, die als literarische texte monologisch-statisch vorgetragen werden und dadurch umso stärker wirken. wahn wird wirklichkeit. man denkt, klar, an den sturm aufs kapitol, an die reichsbürger, an brasilia, man denkt an die beiden 13jährigen aus der oberpfalz, die ein sprengstoffattentat planten. der abend sitzt. wie ein tritt in den bauch.

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