Donnerstag, 9. Dezember 2021

STANS: KÖNIG LEAR IM STÄDERRIED

„unser knabe“ heisst der protagonist in jakob wyrschs erzählung „könig lear im städerried“. unser knabe ist wyrsch höchstpersönlich, der autor als jüngling. als grossvater schrieb er 1960 nieder, wie er, nicht mehr kind und noch nicht mann, zu beginn des vergangenen jahrhunderts mit zug und dampfschiff von stans zur familienweihnacht nach sarnen fuhr und auf dieser reise, vor allem bei einem unplanmässig langen aufenthalt in alpnachstad, die reclam-ausgabe von shakespeares „könig lear“ verschlang, buchstäblich hineingerissen wurde in all diese zweifel an der gültigkeit der ordnung, den lear dann plötzlich auch im städerried bei der aa-mündung sah und nachts als schatten in der einsamen schlafkammer in sarnen. realität und phantasie begannen sich im kopf des jungen erst zu befeuern, dann allmählich zu verschmelzen. „könig lear im städerried“ ist eine menschlich anrührende und sprachlich hinreissende schilderung, heute würde man von einer coming-of-age-geschichte sprechen. der stanser jakob wyrsch (1892-1980) war psychiater, international bekannter schizophrenieforscher, oberarzt in der waldau, direktor in st.urban und der erste professor für gerichtspsychiatrie an der universität bern. er kannte die menschen und er konnte schreiben. brigitt flüeler und buschi luginbühl haben es sich zur aufgabe gemacht, diese verborgenen oder vergessenen literarischen schätze jetzt wieder zu entdecken. ein glück. dieser lear ist eine trouvaille, als text und - jetzt mit einem schauspieler, einer sängerin, einer pianistin und einem cellisten im culinarium alpinum in stans dargeboten – eben auch als performance der wechselnden wahrnehmungen. wie heisst es bei lear passend: „mein herz beginnt zu schwärmen.“

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