Donnerstag, 2. Dezember 2021

MÜNCHEN: HEIDI BUCHERS METAMORPHOSEN

wie verdreckte nasse leintücher hängen heidi buchers skulpturen in den grossen sälen im münchner haus der kunst. gäbe es zugluft, würden sie vielleicht tanzen. doch der erste blick täuscht. das sind keine tücher, das sind riesige und schwere latex-gebilde, beim genaueren hinsehen entdeckt man türschwellen, parkettmuster, fensterrähmen, holzmaserungen. ganze räume schweben in der luft. heidi bucher, die 1926 in winterthur geboren wurde und 1993 in brunnen starb, übergoss ihre vergangenheit mit flüssigem kautschuk, zum beispiel das „herrenzimmer“ in ihrem elternhaus, das den männern der familie vorbehalten war. dann löste sie diese kautschukflächen mit enormer kraftanstrengung von wänden und böden ab, eine häutung, eine emanzipation vom häuslichen patriarchat. in den begleitenden filmen, die die künstlerin bei der arbeit zeigen, scheint es oft, als würde sie sich in diese abgelösten flächen einwickeln wie in einen viel zu grossen mantel. dann wieder schiebt sie die ungetüme energisch von sich. zunehmend machte sie sich mit latex auch an öffentlichen orten zu schaffen, im grande albergo brissago etwa, wo thomas mann und kurt tucholsky gegen den faschismus anschrieben und das später zu einem interniertenheim wurde und dann verlotterte. heidi bucher wollte raum schaffen für „das verdrängte, vernachlässigte, verschwendete, verpasste, versunkene, verflachte, verödete, verkehrte, verwässerte, vergessene, verfolgte, verwundete“. so werden ihre architekturhäutungen zu einem reinigenden akt. für sie. und für die betrachterin und den betrachter zu einer spektakulären einladung, eigene erlebnisse und emotionen aus der vergangenheit abzulösen, diese befreiungsprozesse aktiv und bewusst anzugehen. dem haus der kunst ist zu danken, dass es diese grosse künstlerin und ihre „metamorphosen“ vor dem vergessenwerden rettet.

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