wie
stellt man sich herrn geiser vor, den protagonisten aus „der mensch erscheint
im holozän“, der in einem abgeschiedenen tessiner tal mit dem unwetter und der
unbill der vergesslichkeit hadert? vielleicht wie max frisch selber. oder wie
onkel sepp, bei dem jetzt auch alzheimer diagnostiziert wurde. wohl eher nicht
wie martin butzke. der schauspieler am neumarkt-theater in zürich ist 42, lange
dünne blonde strähnen, stoppelbart – aber keinesfalls eine fehlbesetzung. wie er
diesen 85-minuten-monolog eines um eine generation älteren menschen
hinlegt, das ist grosse schauspielkunst. er spricht in der dritten person von
herrn geiser und ist gleichzeitig herr geiser, distanz und intime nähe in
einem, ein überzeugender ansatz von neumarkt-chefdramaturg ralf fiedler. der
kahle raum an der chorgasse wird unvermittelt zum tessiner rustico, weil martin
butzke so bildhaft spricht, weil er uns bei geisers denken zuschauen und auch
mitleiden lässt, weil er pausen setzt, wenn die bilder sich überschlagen:
geröll im salat, geröll im kopf. herr geiser wird zunehmend unruhiger,
zunehmend aggressiver. auf einem baustellenplastik versucht er den goldenen
schnitt zu rekapitulieren, klebt als gedankenstützen dutzende von zetteln an
die wände, den wodka für die bloody mary kippt er in die pelati-büchse – das chaos
im hirn wird zum chaos im raum. schliesslich baut er eine kleine luftseilbahn
quer durchs zimmer, mit der er ebenso liebevoll wie umständlich seine letzte
bergwanderung illustriert, die auch eine nahtoderfahrung sein soll: "ein weg ist
ein weg auch im nebel, ein weg ist ein weg auch in der nacht." so wird aus max
frischs grossartiger demenz-etüde ein intensiver und berührender theaterabend.
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