achtung: keine
stierkampfarena, keine tabakfabrik, keine pittoresken gassen! für die neue „carmen“
am luzerner theater genügt dem bühnenbildner rainer sellmaier ein einziger
schauplatz: das hässlichste hotelzimmer von sevilla, mit hellblauem
kunstledersofa auf rosa spannteppich und ausgestopftem stier über dem
flachbildschirm. alles klar, „carmen“ wird hier als telenovela gegeben, des
spaniers liebste abendunterhaltung. regisseur tobias kratzer widmet sich also weniger
den grossen gefühlen und vielmehr den niederen instinkten. die carmen von
carolyn dobbin ist eine blondine mit verrutschter schwarzer reizwäsche unter
dem weissen bademantel, der don josé von carlo jung-heyk cho ein notgeiler,
gewalttätiger deserteur. das ist einerseits ziemlich gewöhnungsbedürftig und
andererseits bei einer oper, die man schon dutzendfach gesehen hat, ein echter
hingucker, der neue konstellationen zwischen den figuren entdecken lässt und
neue fragen aufwirft, zum beispiel immer wieder die, wer hier eigentlich wen
provoziert. man bekommt also eine ziemlich oberflächliche geschichte serviert
und blickt plötzlich tiefer als in all den handelsüblichen
carmen-inszenierungen zuvor. der chor ist auf der vorbühne platziert als soap-publikum,
das den strudel der leidenschaften mitverfolgt, mitfiebert und mitleidet - und
ganz wesentlich zur musikalischen präsenz des abends beiträgt, der von howard arman dirigiert wird. schliesslich
wirft auch das finale die alten sehgewohnheiten über den haufen: nicht don josé
bringt carmen aus eifersucht um, sondern sie selbst erschiesst sich aus
verzweiflung und innerer zerrissenheit. durchaus plausibel; hätte man auch
schon früher drauf kommen können.
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