Dienstag, 20. Mai 2025

LUZERN: MAHLER 5

man muss diese musik lieben, man muss diese musik immer wieder hören. wie ein geheimnisvoller spiegel unseres lebens erscheint mir, jedes mal, die sinfonie nr. 5 cis-moll von gustav mahler, auch jetzt wieder, mit dem budapest festival orchestra unter iván fischer im kkl luzern (im rahmen der migros-kulturprozent-classics). alle kennen den vierten satz, das schwärmerische adagietto, das luchino visconti als soundtrack für seinen „tod in venedig“ verwendete und damit die mahler-renaissance in den siebziger jahren so richtig ankurbelte. doch diese sinfonie hat eben nicht nur einen vierten satz. in den insgesamt 70 minuten steckt alles drin, aufruhr und andacht, glückseligkeit und grauen, triumph und trauer, zärtlichkeit und zorn: mahlers fünfte ist ein überwältigendes panorama menschlicher befindlichkeiten. das wird mit dem hochkarätigen orchester aus ungarn besonders deutlich, weil hier menschen aus allen lebensphasen zusammen musizieren, auffallend viele ältere, auffallend viele jüngere, alle mit grösster innigkeit, alle mit geradezu explosiver kraft, wo sich die melodien chaotisch aufbäumen. diese hochmotivierten und hochkonzentrierten menschen machen das konzert nicht nur zu einem musikalischen ereignis, sondern auch zu einem fürs auge. es ist ein gewaltiges seelengemälde, das iván fischer mit dem budapest festival orchestra ins kkl zaubert. je nachdem, wo man sich altersmässig und gefühlsmässig gerade befindet, hört man diese melodien immer anders, wird von anderen stellen tief berührt oder aufgewühlt. das programmheft beschreibt die fünfte treffend als maskenspiel: „ein musikalisches maskenspiel, bei dem die entscheidung, was sich hinter der maske verbirgt, offen bleibt.“ man muss diese musik immer wieder hören.

Montag, 19. Mai 2025

ASCONA: FÉLIX VALLOTTON

irgendwie seltsam! man betrachtet die überaus präzisen holzschnitte von félix vallotton und denkt sich, dass der künstler mittendrin war, selber subjekt der dargestellten szenen oder zumindest ein am rand beteiligter: eine messerstecherei aus nächster nähe, eine detonation im schützengraben gleich nebenan (aus der serie „c’est la guerre“), ein ehedrama (serie „intimités“) oder die pralle lust des pariser nachtlebens (serie „paris intense“), alles scharf beobachtet, alles treffsicher wiedergegeben und ab und zu auch mit einem schuss ironie. und dann liest man, irgendwo an der wand, diesen deprimierenden satz, den vallotton im august 1918, da war er 53, in sein tagebuch schrieb: „es scheint, als sei ich mein leben lang derjenige gewesen, der durch eine glasscheibe hindurch dem leben zuschaut und selbst gar nicht lebt.“ der beobachter, der immer nur beobachter bleibt, der das richtige leben nur von den anderen kennt. irgendwie seltsam. immerhin führt diese irritation dazu, dass man sich vallottons illustrationen danach noch einmal und genauer anschaut – und dazu gibt´s dieses jahr reichlich gelegenheit. denn 2025 ist „année vallotton“, sein tod jährt sich zum 100. mal. das museo castello san materno in ascona zeigt neben den legendären holzschnitten auch akte, stilleben und landschaften, einen reichen schatz eines vielseitigen menschen und künstlers. weitere ausstellungen gibt´s dieses jahr in lausanne, wo vallotton geboren wurde, in vevey und in winterthur. und wenn man das kleine museo in ascona dann mit viel vallotton im kopf verlässt, klingt noch ein anderer satz aus seinem tagebuch nach: „mich dünkt, ich male für ausgeglichene menschen, in deren tiefstem inneren sich ein bisschen laster verbirgt.“ man geht in sich. 

Sonntag, 18. Mai 2025

LUZERN: LUISA MILLER

total nervös tigert friedrich schiller durch seine kammer, ein einfall jagt den anderen, fiebrig kritzelt er seine sätze auf papierfetzen und tapeten: „kabale und liebe“, das bürgerliche trauerspiel. zur ouverture von „luisa miller“ wird am luzerner theater gleich verdeutlicht, woher giuseppe verdi den stoff für seine oper bezog. schillers schreibtisch wird dann – hübsche idee – zur bühne, auf der die liebesgeschichte von luisa und rodolfo, die von ihren vätern durch misstrauen, lügen und intrigen verhindert wird, ihren tragischen lauf nimmt und ihr tödliches ende findet. schiller (timon crienitz) stürmt und drängt immer wieder durch die szene, bis er nur noch nervt. dass er hinten ungelenk turnübungen vollführen muss, während rodolfo (azer zada) vorne die grosse tenor-arie „quando le sere al placido“ singt, in der er den vermeintlichen verlust luisas beklagt, ist ein unverzeihliches ärgernis. überhaupt: regisseurin kateryna sokolova will zu viel, alles wird überillustriert, diese inszenierung ist ein mit kostümen und permanent rauf- und runtersausenden bühnenprospekten vollgestopftes biedermeier-bilderbuch. erst im dritten akt gelingt ihr die konzentration auf die figuren, auf die feine psychologie und die explosive spannung, die sowohl schiller wie verdi grossartig angelegt haben. im orchestergraben kämpft jonathan bloxham immer wieder mit tempi, volumen und koordination, doch trotz allen vorbehalten: es gibt wunderbare stimmen zu hören, andré baleiro als luisas vater, michael hauenstein als rodolfos vater, marcela rahal als rivalisierende herzogin. das unbestrittene ereignis des abends ist eyrún unnarsdóttir, die mit dramatischem sopran eine subtile charakterstudie von luisa zeichnet, hin- und hergerissen zwischen den gefühlen für ihren geliebten und ihren vater, ein bauernmädchen in einer ausweglosen situation, nie naiv, immer empathisch, in den tränen immer auch noch hoffnung und doch ein taumeln ins unglück. am schluss sackt sie auf schillers schreibtisch zusammen.