Montag, 14. April 2025

LUZERN: AS LONG AS THERE IS LIGHT

“und alles sinkt, vergilbt und fällt, und zieht und winkt und modert, gärt, gefriert und glänzt als see, silbern und dunkel, ich sehe nicht mehr…“ – man kann dieses poem von michael donhauser in acht sekunden lesen. man kann sich dafür aber auch 22 minuten zeit nehmen. wie die künstlerin judith albert in einer ihrer videoarbeiten. von einer schwarz glänzenden folienfläche löst sie mit zwei nähnadeln die für uns zunächst unsichtbaren buchstaben ab, das u, das n, das d, einen nach dem anderen, mit grösster sorgfalt und geduld. die schwarzen buchstaben klebt sie auf ihre handrücken, auf der schwarzen fläche vor ihr entsteht so allmählich und in blendendem weiss der text und auf den handrücken ein buchstaben-chaos, etwas neues also, alles ist möglich. noch nie ist man so behutsam in lyrik eingetaucht, noch nie hat man sich von einem text auf diese weise, buchstabe für buchstabe, überraschen lassen. „und alles sinkt“ ist ein 22minütiges spiel mit poesie, mit text und wirkung, ein lob der langsamkeit. das video von judith albert ist jetzt zu sehen im rahmen ihrer einzelausstellung „as long as there is light“ in der galleria edizioni periferia in luzern. eintauchen und versinken, das sind ihre grossen themen, immer wieder. eintauchen ins meer, in die dunkelheit, ins licht, in farben, in wälder und moose – und die stimmungen dann, auch wenn sie unscharf oder ambivalent sein mögen, aushalten, aufsaugen, wirken lassen. das ist die einladung ans publikum, die von diesen so unterschiedlichen und vielseitigen videos und lichtzeichnungen ausgeht: visuelle poesie nicht als flucht, sondern als beglückender rhythmuswechsel im alltagsgewusel - as long as there is light.

1 Kommentar:

  1. Herzlichen Dank für diesen stimmigen Text. Gianni Paravicini, Galleria Periferia

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