“und alles sinkt, vergilbt und fällt, und zieht und winkt
und modert, gärt, gefriert und glänzt als see, silbern und dunkel, ich sehe
nicht mehr…“ – man kann dieses poem von michael donhauser in acht sekunden lesen.
man kann sich dafür aber auch 22 minuten zeit nehmen. wie die künstlerin judith
albert in einer ihrer videoarbeiten. von einer schwarz glänzenden folienfläche löst sie mit zwei nähnadeln
die für uns zunächst unsichtbaren buchstaben ab, das u, das n, das d, einen
nach dem anderen, mit grösster sorgfalt und geduld. die schwarzen buchstaben
klebt sie auf ihre handrücken, auf der schwarzen fläche vor ihr entsteht so
allmählich und in blendendem weiss der text und auf den handrücken ein
buchstaben-chaos, etwas neues also, alles ist möglich. noch nie ist man so
behutsam in lyrik eingetaucht, noch nie hat man sich von einem text auf diese
weise, buchstabe für buchstabe, überraschen lassen. „und alles sinkt“ ist ein
22minütiges spiel mit poesie, mit text und wirkung, ein lob der langsamkeit. das
video von judith albert ist jetzt zu sehen im rahmen ihrer einzelausstellung „as
long as there is light“ in der galleria edizioni periferia in luzern.
eintauchen und versinken, das sind ihre grossen themen, immer wieder.
eintauchen ins meer, in die dunkelheit, ins licht, in farben, in wälder und
moose – und die stimmungen dann, auch wenn sie unscharf oder ambivalent sein
mögen, aushalten, aufsaugen, wirken lassen. das ist die einladung ans publikum,
die von diesen so unterschiedlichen und vielseitigen videos und
lichtzeichnungen ausgeht: visuelle poesie nicht als flucht, sondern als beglückender
rhythmuswechsel im alltagsgewusel - as long as there is light.
Montag, 14. April 2025
LUZERN: AS LONG AS THERE IS LIGHT
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Herzlichen Dank für diesen stimmigen Text. Gianni Paravicini, Galleria Periferia
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