lahav shani ist 35. in zwei jahren übernimmt er die leitung der münchner philharmoniker und zum auftakt der konzertsaison steht er jetzt am pult seines künftigen orchesters: der junge mann aus tel aviv widmet sich dem alten mann aus linz, anton bruckner, dessen 200. geburtstag gerade üppig begangen wird. als er starb, war bruckner 72, gut doppelt so alt wie shani jetzt, und hinterliess seine neunte symphonie unvollendet, ein werk an der schwelle von der spätromantik zur moderne. es sei, sagte er, sein abschied vom leben und „dem lieben gott“ gewidmet. da hat er dem lieben gott schwere kost zugemutet. die neunte ist kein versöhnliches, friedliches adieu, sondern – und lahav shani kostet dies bis zur schmerzgrenze aus – ein monströses werk. zwar klingen immer wieder anmutige, fein ziselierte melodien an, doch dann kippen sie unvermittelt, in aufruhr, in krieg, in chaos. das ist d-moll total, ein zeugnis tiefster verzweiflung und existenzieller panik. ungebremst, mit voller wucht steuert der dirigent sein orchester hinein in diese hochdramatischen exzesse und eruptionen. diese junge, unbändige energie lädt die ausverkaufte isarphilharmonie auf bis zum bersten. eine endzeitvision zum auftakt, mutig. nach dem finalen ton verharrt das publikum zunächst in andacht schweigend – und dann: begeisterungsstürme. lahav shani scheint angekommen zu sein in seiner künftigen heimat. vor bruckner, im ersten teil des abends, beweist er, dass er nicht nur ein meisterhafter dirigent ist, sondern auch ein vorzüglicher pianist. nur, weshalb spielt er johann sebastian bachs cembalokonzert d-moll auf dem klavier? als ob es keine historische aufführungspraxis gäbe? das programmheft liefert keine erklärung. das bleibt also lahav shanis geheimnis. vielleicht sind es ja nicht zuletzt die kleinen geheimnisse, die das wirken grosser künstler prägen.
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