Donnerstag, 5. September 2024

LUZERN: BILDER DEINER GROSSEN LIEBE

seltsam, diese männer: zu knappe shorts, kurzarm-blouson, gummistiefel, alles in strahlendem weiss und nicht ganz alterskonform. einer trägt einen schafskopf, einer eine mit filzstiftfratze bemalte pappschachtel, einer hat eine regenhaube übergezogen, die er mit sprühflasche dauerbefeuchtet. oliver losehand, eher fortgeschrittenes semester, spielt sie alle: einen selbstmörder, einen ehemaligen bankräuber, einen taubstummen undundund. dieser weisse mann, das sind wir, die erwachsenen (m/w/seltener d), wie sie von einer jugendlichen wahrgenommen werden, manchmal ein bisschen und manchmal total weird. isa ist 14, aus einer psychiatrischen klinik ausgebüxt, unterwegs auf landstrassen und in wäldern, am tag und in der nacht, mit allen sinnen stolpert sie ins richtige leben. isa ist die protagonistin in wolfgang herrndorfs posthum veröffentlichtem romanfragment „bilder deiner grossen liebe“, das hannah nagel jetzt im ug des luzerner theaters inszeniert hat. und dies ausgesprochen subtil. ein klinikbett, ein schaukelpferd, eine waschmaschine, ein papagei und viel grünzeug stehen rum im tiefen raum, isas welt und isas traumwelt, dazu ein paar herrlich aufgeraute songs von zaho de sagazan und aleksandra sucur. traumwandlerisch bewegt sich amélie hug in genderfluiden schlabberklamotten durch die kurvenreiche geschichte (was ist verrückt? was ist normal?), immer wieder begegnet sie dem weissen mann – also uns! – und wundert sich, immer ist sie im zentrum, immer gönnt sie herrndorfs präziser, poetischer sprache viel platz und rhythmus, so erleben wir diese junge frau sympathisch und störrisch und schelmisch und stürmisch. am ende steht sie mit einer geklauten knarre in der hand an einem abgrund: „…..aber ich bin stärker.“ man muss sie einfach liebgewinnen, diese isa/amélie, weil sie uns so bezaubernd authentisch nahe bringt, wie verdammt anstrengend es ist, in dieser hochkomplexen welt erwachsen zu werden.

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