Donnerstag, 14. Dezember 2023

TUNIS: DIE FRAUEN VON AL-BASSATÎN

„lächle – du bist in tunesien!“ wie ein roter faden zieht sich der slogan von den werbetafeln durch habib selmis roman „die frauen von al-bassatîn“. „lächle – du bist in tunesien!“ an jeder ecke, auf flughäfen, auf riesigen brandmauern in den innenstädten, in shopping-malls. das sympathische leitmotiv wird dann allerdings seite für seite konterkariert. der ich-erzähler wanderte vor jahren nach frankreich aus, ist dort verheiratet und unterrichtet an einem gymnasium. sein blick auf die heimat erfolgt aus distanz, nicht verklärend, doch viele entwicklungen entziehen sich diesem blick, das bild ist unvollständig, verschoben, verzerrt. lächle? als er für einen längeren urlaub zurückkehrt nach tunesien, warnt ihn sein jugendfreund nadschîb vor allem, was hinter der fassade lauert: „einem besucher wie dir mag tunesien als ein progressives land erscheinen. alles ist so ruhig. ein friedliches volk, eine aufgeschlossene gesellschaft. und in den cafés lauter frauen. aber dieses bild trügt! tunesien ist die hölle für jemanden, der hier leben muss. wir haben eine konfuse, verwirrte, eine verlorene gesellschaft, die nicht weiss, welche richtung sie einschlagen soll.“ selmi schrieb „die frauen von al-bassatîn“ 2010. wie ein seismograf registrierte er bevorstehende erschütterungen: noch im selben jahr verbrannte sich der gemüsehändler muhammed bouazizi aus protest gegen behördenwillkür, es folgte ein volksaufstand, der beginn der arabischen revolution, autokraten wurden weggefegt. doch die unruhe blieb. 2015 folgten terroranschläge auf touristenhotspots. „lächle – du bist in tunesien!“ dieses land ist zerrissen zwischen tradition und moderne, man reist, selmis roman im gepäck, mit ambivalenten gefühlen ein.

 

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