Samstag, 30. Dezember 2023

MÜNCHEN: DER STURM / DAS DÄMMERN DER WELT

ein rostiges schiffswrack steht auf der leeren bühne der münchner kammerspiele. nur ein schiffswrack bleibt übrig. doch übrig wovon? zurück auf feld eins: william shakespeare schrieb „der sturm“ über den verbannten herzog prospero, der sich mit zaubermitteln an seinen missetätern rächen will. schauplatz: eine insel. der filmemacher werner herzog schrieb den roman „das dämmern der welt“ über den (realen) japanischen leutnant hiroo onoda, der den zweiten weltkrieg um 29 jahre verlängerte, weil er dessen ende für fake hielt. schauplatz: eine insel. jan-christoph gockel, hausregisseur an den kammerspielen, vermengt die beiden stoffe zu einem dreistündigen abend, befreit sie restlos von den eh schon spärlichen zuversichtlichen elementen und reichert sie an mit hundert assoziationen und – wie immer – michael pietschs ausdrucksstarken marionetten, diesmal allesamt verkrüppelte kriegsopfer, illustrationen einer grenzenlosen dystopie. der in jeder rolle grossartige thomas schmauser spielt prospero und onoda als liebenswürdige verzweifelte, bernardo arias porras kostet die selbstverliebtheit werner herzogs voll aus (wer, wenn nicht ich, muss diesen film machen?) und zählt in der mitte des abends alle kriegs- und konfliktherde seit 1945 auf, minutenlang, wirklich alle. krieg ist der normalzustand und in der „bar zum ewigen frieden“ bei der ewig rauchenden katharina bach schaut dann auch immanuel kant noch vorbei. von shakespeares insel zu herzogs insel zu gockels insel wird man getrieben, ja gejagt. der sturm wird zum sturm im kopf. was bleibt, ist ein rostiges schiffswrack und null hoffnung. ein völlig überbordendes, streckenweise sehr kluges und also ziemlich forderndes insel-hüpfen.

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