Samstag, 17. Juni 2023

MÜNCHEN: DIE VATERLOSEN

iwan iwanowitsch trilezki ist oberst im ruhestand, eine toxische kriegsgurgel. sein leben scheint nur aus heldentaten zu bestehen, die er mit stolz und geifer immer und immer wieder herunterbetet. eine paraderolle für den 84jährigen walter hess. die vergangenheit soll ewig dauern: „ich will nicht sterben, nie.“ sein sohn parodiert ihn, im stechschritt und mit tiefster abneigung. solche väter will man nicht. anton tschechow schrieb „die vaterlosen“, auch bekannt als „platonow“, mit 18 (!!) jahren, ein frühreifes frühwerk, das die filigranen charakterstudien seiner späteren stücke bereits anklingen lässt: onkel wanja und die drei schwestern winken aus der ferne. in einem labyrinth aus hunderten schimmernder stangen (hübsche variante für das russische birkenwäldchen) fügt jette steckel „die vaterlosen“ an den münchner kammerspielen zu einem fast vierstündigen abend, mit einem hochkonzentrierten, präzisen blick auf all die dissonanzen und beziehungskatastrophen – und angereichert mit nicht zwingenden feministischen und familientherapeutischen exkursen. im zentrum dieser welt ohne prinzipien und perspektiven: der dorfschullehrer platonow, den gaststar joachim meyerhoff als liebenswürdig labernden loser gibt und sich dann irgendwann, einer der vielen höhepunkte dieses abends, auf seiner wanderung zwischen zynismus und selbstmitleid mit den birkenstangen zu durchbohren beginnt: „an mir ist nichts, woran ich mich halten könnte“ – ausser diese stangen… der grosse meyerhoff spielt die anderen aber nicht an die wand, der star ist umgeben von vielen weiteren stars, das exzellente ensemble der kammerspiele glänzt aufs prächtigste. muss man betonen jetzt, wo so gerne an den kammerspielen herumgemäkelt wird.

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