„die aussenwelt wird masslos überschätzt“, sagt w, nachdem sie eineinhalb stunden nichts gesagt hat. „gier“ ist ein stück über die innenwelt. sarah kane schrieb diesen text 1998, ein jahr vor ihrem suizid mit 28. es ist ein text für die vier stimmen a, b, c und m, ein langgedicht über erinnerungen und erwartungen, über die sehnsucht nach geborgenheit und intimität, es sind stimmen im kopf, oft zusammenhanglos, satzfetzen aus der innenwelt. am schauspielhaus zürich wagt regisseur christopher rüping jetzt ein faszinierendes experiment: er setzt w, die im originaltext nicht vorkommt, auf der bühne vor eine kamera und zeigt ihr gesicht auf einer grossleinwand, während a, b, c und m den text performen. w ist die brillante schauspielerin wiebke mollenhauer, sie reagiert stumm auf diese sätze, sie ist schockiert, sie schmunzelt, sie heult immer wieder, einmal schreit sie, sie kommt von diesen träumen und traumata nicht los – und wir haben dieses gesicht immer vor uns, frontal und in übergrösse. dieser dichte kann man sich nicht entziehen; in einem schauspielerischen rausch vermischen sich da poesie und panik, euphorie und ekstase. wird hier ein einzelner mensch gespiegelt? oder eine ganze gesellschaft in therapie? ein streichtrio vor der rampe setzt zwischendurch zarte akzente und ab und zu begeben sich a, b, c oder m auch mal zu w, um sie fein zu berühren oder ihr liebevoll durch die haare zu fahren. es bleiben verzweifelte versuche. „es bin einfach nicht ich“, hämmert der text immer wieder und irgendwann werden die elektronischen heartbeats schneller und die stimmen im kopf lauter. kurz vor schluss verschwindet w von der bühne, rennt – per live-video ins schauspielhaus übertragen – durchs seefeldquartier und stürzt sich in den eiskalten zürichsee (wo sie bis zum schlussapplaus schwimmt). ein radikales mittel, sein ich noch irgendwie zu spüren.
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