Sonntag, 14. November 2021

MÜNCHEN: EURE PALÄSTE SIND LEER

trump-comeback, covid-ohne-ende, klima – es mangelt derzeit nicht an versatzstücken für die ultimative dystopie. der österreichische autor thomas köck hat seine apokalyptischen visionen zu einem grandiosen text gebündelt, dessen uraufführung an den münchner kammerspielen jetzt mit langem, begeistertem, verdientem applaus belohnt wurde: „eure paläste sind leer (all we ever wanted)“ ist ein hammer! auf der bühne erblickt man das abbild des jugendstil-zuschauerraums, zerstört, zerfallen, aus den kammerspielen ist ein düsteres parkhaus geworden, in dem ein alter vw polo rumgeschubst wird. hier begegnen sich die gespenster aus vergangenheit und gegenwart: die menschenverachtenden eroberer lateinamerikas, die eroberer der globalen finanzmärkte, die verlogenen hüter einer verlogenen moral und der blinde seher teiresias, der alles schon immer geahnt hat und nichts unternimmt. aus köcks dichtem und hochpoetischem text macht regisseur jan-christoph gockel mit schauspielerinnen und schauspielern, musikern und holzpuppen mit zutiefst menschlichen zügen (michael pietsch) eine divina commedia, sinnlich und schrill, laut und verstörend. im polo, im bühnenhimmel, in den logen: ausbeutung, ausgrenzung, exzesse und massaker so weit das auge reicht, redundant bis zur reizschwelle. der kleine prinz, auch eine dieser eindrücklichen holzpuppen, ist zum todtraurigen jungen im blauen sweatshirt geworden, der sein laken über die bühne zieht und die toten damit bedeckt, nachdem er sie geküsst hat. „what we learn from history is that we don´t learn from history” knackt es durch die lautsprecher. gegen ende, üppig unterlegt mit wagners wogen, taucht der nächste ersehnte erlöser auf, auch er bloss ein gespenst. erlösung gibt es nicht, es gäbe nur verantwortung. gäbe. „follow me in den nächsten kreis der hölle.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen