Freitag, 19. November 2021

MÜNCHEN: AGNES BERNAUER

sie zuckt am ganzen leib, diese agnes bernauer, im blossen unterhemd steht sie da, schwach ist sie und schwanger, der schwiegervater brüllt sie in grund und boden, die schwiegermutter schmiert ihr brei ins gesicht, ihr mann heult nur und ist zu nichts fähig. antonia münchow spielt diese agnes bernauer am cuvilliéstheater in münchen als zunächst selbstbewusste, entschiedene frau, deren verletzliche und verletzte seite immer deutlicher zutage tritt. aus finanziellen gründen hat sie in diese unternehmerfamilie eingeheiratet, sich schnell mit dem sozialen aufstieg identifiziert und ihr gutes herz dabei nicht verloren. doch alle ihre versuche, zwischen oben und unten zu vermitteln, das geld gerechter zu verteilen, im unternehmen der schwiegereltern wie in der welt, das alles läuft ins leere. „die gutheit lohnt sich nicht“, sagt ihr ein mann aus dem dorf. franz xaver kroetz wollte mitleid als politische kategorie verstanden wissen, als er friedrich hebbels „agnes bernauer“ 1977 in die gegenwart übertrug – und er war stark beeinflusst vom italienischen neorealismo. realistisch und subtil gezeichnet wird in dieser residenztheater-inszenierung von nora schlocker nur die hauptfigur, alles andere ist revue: auf einer drehbühne aus schwerer bayrischer eiche, die sowohl salon kann wie auch jahrmarkt und rosenkranz-manufaktur, ist agnes umgeben von lauter karikaturen, massiv überzeichneten und witzig kostümierten, die viel herumschreien und ihre gefühle vor allem gymnastisch ausdrücken. ganz offensichtlich will die regisseurin jeden sozialkitsch umgehen, sie scheint dem stück nicht wirklich zu trauen. vier live-musiker steuern hübsche walzer und melancholische weisen bei, ein wohltuender kontrast in dieser grellen show, wo sich die einzelnen perspektiven und stimmungen nicht zusammenfügen wollen und deren dringlichkeit dadurch ähnlich ins leere läuft wie agnes´ empathie.

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