Freitag, 28. September 2018
MÜNCHEN: MARAT/SADE
marquis de sade liegt in einer ecke, erschöpft und
resigniert. charlotte schwab spielt ihn grossartig, mit unappetitlicher wampe
und schütterem haar, ein alter zyniker, der für das revolutionstheater, das er
mit den anderen patienten des hospizes von charenton aufführen sollte, nur noch
ein kaltes grinsen übrig hat. die revolution und ihre ideale sind mausetot. die verfolgung und ermordung ihres wortführers jean paul marat schrieb
peter weiss 1964 nicht als doku-drama, sondern als stück im stück,
als moritat im irrenhaus, mit der für eine groteske nötigen distanz – und mit
grossem internationalem erfolg. am residenztheater in münchen macht tina lanik
aus „marat/sade“ eine rasante polit-revue, bissig und mit sehr
viel blut in der badewanne, in der marat seine letzten stunden verbringt.
dieser ist bei nils strunk ein junger feuriger idealist, verwegen und
oft etwas eindimensional; der kontrast zum abgelöschten skeptiker de sade könnte grösser
nicht sein, was dem disput der beiden spannung verleiht und in der aberwitzigen szene kulminiert, wo sich de sade
für seine politische lethargie von marat auspeitschen lässt. zudem lässt die
regie die jüngeren schauspieler immer wieder extemporieren, die ideale und ihre
haltbarkeit aus heutiger sicht befragen: wenn die revolution tot ist,
kann dann wenigstens die hoffnung überleben? und welches politische personal
gibt zu solcher hoffnung anlass? spitz werden die bayrischen landtagswahlen in
zwei wochen und der am sessel klebende innenminister eingeflochten, was
nie aufgesetzt wirkt, sondern durchaus im sinne des autors sein dürfte, der zur
entstehungszeit des stücks ganze notizbücher mit solchen querverbindungen
füllte: „allein die gesichter all dieser staatsmänner, die brutalisierten
säuglingsgesichter, und ihr gerede, zeigen dir, worum es geht. sie reden alle
mit toten augen, toten mündern, reden von freiheit, und meinen macht.“ hoffnung, wo bleibst du?
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