Dienstag, 18. September 2018

ZÜRICH: LENZ

„er kann sich nicht finden.“ der schriftsteller jakob michael reinhold lenz ist auf der suche nach sich selbst, doch er kann sich nicht finden, sein geisteszustand verschlechtert sich, psychose. der schriftsteller und mediziner georg büchner hat diese suche in seiner erzählung „lenz“ mit wissenschaftlichem blick begleitet und analysiert. und der regie-altmeister werner düggelin bringt diese krankheitsgeschichte in der schiffbau-box des zürcher schauspielhauses jetzt glasklar auf die bühne. ein klinisch weisser raum, drei weisse ebenen, auf der oberen ein bett für lenz (jan bluthardt), auf der mittleren ein ohrensessel für seinen vertrauten, den pfarrer oberlin (jirka zett), auf der unteren ein tisch für den erzähler (andré jung). in dieser radikal reduzierten umgebung entsteht in einer art szenischer lesung das präzise porträt eines menschen, dessen wahrnehmung sich zunehmend von der realität löst. doch büchner schrieb nicht nur eine krankheitsgeschichte, sondern verpackte darin auch ein plädoyer für realistische statt idealistische literatur, für dokumentarische statt romantische elemente. nicht der wahnsinn am ende des weges steht in düggelins inszenierung im zentrum des interesses, sondern die absolutheit, mit der dieser lenz lebt und sucht, absoluter glaube, absolute liebe, absolute verzweiflung. wie jan bluthardt nach worten sucht, nach bildern, nach sinn vor allem, wie er die ganze  innere zerrissenheit eben nicht als irrer, sondern als rastlos reflektierender zeigt, das macht diesen bald 250 jahre alten mann zu einem sehr modernen menschen und den stoff entsprechend zeitlos: einer, der sich nicht finden kann in seiner komplexen umwelt und den versuch beginnt, damit zu leben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen