„er kann sich nicht finden.“ der
schriftsteller jakob michael reinhold lenz ist auf der suche nach sich selbst,
doch er kann sich nicht finden, sein geisteszustand verschlechtert sich,
psychose. der schriftsteller und mediziner georg büchner hat diese suche in
seiner erzählung „lenz“ mit wissenschaftlichem blick begleitet und analysiert. und
der regie-altmeister werner düggelin bringt diese krankheitsgeschichte in der
schiffbau-box des zürcher schauspielhauses jetzt glasklar auf die bühne. ein
klinisch weisser raum, drei weisse ebenen, auf der oberen ein bett für lenz
(jan bluthardt), auf der mittleren ein ohrensessel für seinen vertrauten, den
pfarrer oberlin (jirka zett), auf der unteren ein tisch für den erzähler (andré
jung). in dieser radikal reduzierten umgebung entsteht in einer art szenischer
lesung das präzise porträt eines menschen, dessen wahrnehmung sich zunehmend
von der realität löst. doch büchner schrieb nicht nur eine
krankheitsgeschichte, sondern verpackte darin auch ein plädoyer für
realistische statt idealistische literatur, für dokumentarische statt
romantische elemente. nicht der wahnsinn am ende des weges
steht in düggelins inszenierung im
zentrum des interesses, sondern die absolutheit, mit der dieser lenz lebt und
sucht, absoluter glaube, absolute liebe, absolute verzweiflung. wie jan
bluthardt nach worten sucht, nach bildern, nach sinn vor allem, wie er die
ganze innere zerrissenheit eben nicht
als irrer, sondern als rastlos reflektierender zeigt, das macht diesen bald 250
jahre alten mann zu einem sehr modernen menschen und den stoff entsprechend
zeitlos: einer, der sich nicht finden kann in seiner komplexen umwelt und den
versuch beginnt, damit zu leben.
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