Sonntag, 2. September 2018

HAMBURG: CRYING ZONE, DREI STUNDEN WEINEN

drei stunden weinen, schluchzen, schreien, heulen. „crying zone“ heisst die performance, die die truppe von zofia komasa aus polen am mixed-abled-festival „aussicht“ im monsun-theater in hamburg zeigt, einem treffen von inklusiven theaterformationen. erster reflex: halte ich das aus? will ich das aushalten? eine feingliedrige frau mit dunklen haaren setzt sich im schwarzen raum auf einen stuhl, frontal zum publikum. sie beginnt zu heulen, mal heftiger, mal zurückhaltender, sie heult direkt vor uns. wann habe ich das letzte mal geweint? hat es mir gut getan? sie nimmt sich papiertaschentücher, rotzt sie voll, ein tänzer ganz in schwarz sammelt sie. nach 15 oder 25 (??) minuten steht sie auf, von hinten im saal kommt eine kräftige, blonde frau, setzt sich auf den stuhl und beginnt zu weinen, immer massiver; wenn die tränen nachlassen, blickt sie herausfordernd. habe ich sie provoziert? bewusst oder ohne es zu wollen? die tränen fliessen und die gedanken auch. der junge tänzer wirbelt mit den zahlreicher werdenden taschentüchern durch den raum, spielt mit ihnen wie ein kind, endlos. dann kommt eine dunkelhäutige frau, setzt sich auf den stuhl und heult herzerweichend. traumatisiert von der migration? trennungsschmerz? kulturschock? warum redet hier niemand? würde das helfen? die dunkelhäutige frau wird abgelöst von einer bleichen, blonden, deren schluchzen kaum hörbar ist. der tänzer nutzt auch ihre taschentücher für seine zarte performance. unterdessen fixiert sie mich. will sie mitleid? will sie trost? will sie ärger? sie fixiert mich immer noch, penetrant. hinschauen ist mir peinlich, wegschauen wäre noch peinlicher. oder gar verletzend? soll ich das schweigen mit worten durchbrechen? soll ich mitweinen? wann habe ich das letzte mal geweint? war es – für mich, für andere - befreiend? drei stunden weinen. das theater experimentiert. mit mir.

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