Samstag, 27. September 2025

ZÜRICH: DIE STILLE

minutenlang tappen sie wortlos im halbdunkeln, vier menschen, zu diffusem rauschen unsicher einen fuss vor den anderen setzend, wie in zeitlupe, ängstlich um sich blickend die einen, völlig in sich gekehrt die anderen, taumelnd, zögernd, sich windend. diese eigenartige, sehr lange marche funèbre ist die intensivste sequenz von „die stille“, mit der das theater neumarkt die neue saison eröffnet. die 27jährige regisseurin paula lynn breuer lässt den text von guillaume poix („le silence“) zwischen schauspiel und butoh-performance schweben: drei menschen trauern, der vierte (ein autor? ein reporter? ein voyeur?) beobachtet und filmt sie dabei, oft distanzlos. trauer ist verzweiflung und abschied und wut, ist erinnern und verdrängen, auch mal befreiendes lachen. szenen werden mehrfach wiederholt, die gefühle ändern sich, oft radikal, jede und jeder trauert anders, trauer macht einsam: „es ist eine existenzielle sackgasse. man findet schwer aus der stille wieder hinaus.“ die trauernden sitzen im sand, wo das unglück geschah, spielen und schweigen, erinnern sich an küsse, an schuhe, an haare an der bürste. sie trauern um ein kind, es könnte auch ein partner oder eine freundin sein oder ein bevorstehender, unausweichlicher tod - das stück öffnet dem publikum viele richtungen. man schweift ab in eigene erfahrungen von trauer und loslassen und blickt dann wieder in diese versteinerten, leergeheulten, deprimierten, erschöpften gesichter, schaut diesen menschen zu, wie sie die bilder in ihrem kopf und die gedanken zu ordnen versuchen. rachel braunschweig, hanna eichel, martin butzke und till schaffnit bewegen sich mit beklemmender präsenz an der grenze zwischen leben und tod. starkes neues ensemble, neuer intendant, neue handschriften, alles neu am neumarkt. der auftakt mit dieser poetisch-dichten reflexion ist geglückt, man darf auf alles weitere gespannt sein.

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