Freitag, 29. November 2024

LUZERN: DER RICHTER UND SEIN HENKER

am luzerner theater spielt mozarts „idomeneo“ in einem ballsaal in versailles statt auf kreta, „die fledermaus“ von johann strauss auf der titanic statt in wiener villen, „der richter und sein henker“ von friedrich dürrenmatt mitten in einer potthässlichen plattenbausiedlung statt im berner jura: das theater überbietet sich derzeit mit der verlegung bekannter stoffe an nicht zwingende schauplätze. gelegentlich mögen solche dislozierungen durchaus hilfreich sein, um neue perspektiven auf ein stück zu eröffnen. sieht man den richter und seinen henker jetzt also anders, wenn sie zwischen diesen grauen hochhausfassaden rumturnen statt in der twannschlucht? nein. versteht man die lebenslängliche wette über das perfekte verbrechen, die die beiden als junger polizist und junger gangster abgeschlossen haben, besser, wenn sie von frauen gespielt werden? „diese irritation führt dazu, dass die mechanismen der macht und manipulation viel genauer betrachtet werden können“, steht dazu im programmheft. stimmt nur leider nicht. und warum zeigen sich in der inszenierung von ronny jakubaschk alle mit grün-schwarzen globihosen und finsteren joker-fratzen? vermutlich sollte diese ganz und gar groteske geschichte, mit der dürrenmatt die mauscheleien in politik, wirtschaft, justiz und polizei schonungslos und genussvoll ausbreitet, hier einfach ins noch groteskere gesteigert werden. mit dem resultat, dass sie jetzt wie ein musical ohne musik daherkommt, leicht und bekömmlich für gymi-klassen, und mit gelegentlich einem stich ins infantile. doch dürrenmatt ist stark und übersteht das – und wir auch. und als nächstes wird dann wohl verdis „luisa miller“ von den tiroler bergen in elon musks space x verlegt. oder so.    

Montag, 25. November 2024

FRANKFURT: SO BAUT MAN THEATER

theater sind spiegel der gesellschaftlichen zustände und inspiration zur optimierung derselben. höchst erfreulich also, dass immer wieder neue theater gebaut und alte saniert werden, in frankfurt, in mannheim, in luzern, wo altes und neues sogar kombiniert werden sollen. als luzerner besucht man die aktuelle ausstellung im deutschen architekturmuseum in frankfurt mit entsprechend grossem interesse: „ganz grosse oper – bühnenbauten im europäischen vergleich“. was auffällt: dort, wo die substanz erhalten und auf den neusten stand gebracht wird, laufen termine und kosten oft massiv aus dem ruder, es wird dann nicht teuer, sondern sauteuer. 2011 wurden für die sanierung von oper und schauspiel köln 253 millionen euro budgetiert, wiedereröffnung sollte 2015 sein. mittlerweile rechnet die stadt mit gegen einer milliarde – und ein eröffnungstermin steht noch nicht fest, weil immer noch viel zu viele am projekt rumfummeln. als gegenbeispiel und best practice wird der neubau des münchner volkstheaters aufgeführt, wo der auftrag zu einem festpreis an einen generalunternehmer ging: budget eingehalten, zeitplan eingehalten, die stadt, das theater und das publikum sind gleichermassen glücklich. bei den neubauten zeigt sich durchs band der einbezug der stadtbevölkerung als zentrales element, also auch des theaterfernen publikums: bei der oper in oslo ist das dach als öffentlicher stadtplatz gestaltet, beim schauspielhaus in kopenhagen gibt’s auf dem vorplatz bühnen und buden für open-air-veranstaltungen, das musiktheater linz ist mit direktem zugang zum volksgarten als „erweitertes wohnzimmer“ für die bevölkerung konzipiert. wenn das luzerner stadtparlament diese woche dem projektierungskredit fürs neue theater zustimmt, wird diesem aspekt anschliessend ganz besondere aufmerksamkeit zu widmen sein.

Sonntag, 24. November 2024

FRANKFURT: AIDA IM BUNKER DER DESPOTEN

wir sitzen im dunkeln, über tausend menschen im zuschauerraum der frankfurter oper, ohrenbetäubender lärm, dann schlagen bomben ein, überall kracht’s, immer noch alles dunkel, die wände zittern, minutenlang – es herrscht krieg, krasse erfahrung. und dann, nahtlos: der triumphmarsch, grande fiesta auf der bühne, bunte scheinwerfer, champagner, partyhütchen. doch diese sieger sind schwer angeschlagen, gehen an stöcken, sitzen im rollstuhl, die feierlaune wirkt aufgesetzt. ihre opfer quälen sie mit fiesen spielchen bis aufs blut, es ist eine von a bis z perverse party. regisseurin lydia steier (die mal kurzzeitig co-operndirektorin war in luzern) nimmt den krieg und die damit verbundenen menschlichen verwerfungen sehr ernst: ihre inszenierung von giuseppe verdis „aida“ schlägt aufs gemüt. genau das will sie in diesen zeiten. steier verlegt das drama vom heerführer, der die tochter des feindlichen herrschers liebt, vom nil in einen hässlichen despotenbunker, der mit weissen kacheln und jugendstilleuchten luxus vorgaukeln soll. radamès (stefano la colla, mit nicht schwindelfreier intonation und die spitzentöne zu oft forcierend) ist hier ein argloser poolboy, der wider willen in den krieg geschickt wird, aida mehr stubenmädchen als sklavin (christina nilsson, zarte person, zarte stimme) und ihre rivalin amneris ein marilyn-monroe-verschnitt (silvia beltrami, mit dramatischem mezzosopran) – sie sind ein ungleiches und gerade dadurch spannungsgeladenes trio. weil die première schon elf monate zurückliegt, weil krankheitsbedingt nebenrollen kurzfristig umbesetzt werden mussten und weil der junge dirigent giuseppe mentuccia nicht eben ein meister feiner zwischentöne zu sein scheint, wirkt jetzt vieles, was von der regie wohl subtil angedacht war, doch recht aufgedreht und plakativ. was bleibt, und da ist die inszenierung ganz bei verdi: im krieg gibt es nur verlierer. pace heisst das letzte wort in dieser oper, frieden, hier verzweifelt hingehaucht im verlies.

Samstag, 23. November 2024

MÜNCHEN: BAUMEISTER SOLNESS

die geister der vergangenheit, sie klettern die wände hoch, steigen durch die fenster, stochern im nebel, überall röchelt, hechelt, wimmert es. felicitas bruckers inszenierung von ibsens „baumeister solness“ an den münchner kammerspielen führt sehr bildhaft vor, wie dieser mächtige mann, der seiner karriere alles geopfert und seine macht oft missbraucht hat, eingeholt wird von seinen erinnerungen und gequält von seinem gewissen. ein nervöses zucken erfasst thomas schmausers gesicht angesichts dieser schatten und schemen aus seinem privaten und beruflichen umfeld immer wieder, oft scheint sein kopf vor panik zu zerplatzen: „irgendwann kippt es, ich spüre es“, winselt er, dieser mann fürchtet sich zunehmend vor sich selber. und dann die frauen, die er ruiniert hat. ihnen gewährt die inszenierung mit starken ergänzenden texten von gerhild steinbuch mehr platz als ibsens original. solness‘ frau aline wurde an seiner seite zum seelischen wrack, katharina bach spielt sie als entleerte hülle, beängstigend in ihrer orientierungslosigkeit. die puppen ihrer jugend, die sie bei einem brand verloren hat, fehlen ihr mehr als ihre toten jungs. annika neugart als hilde wangel, die von solness als zwölfjährige einst geküsst und bedrängt wurde, irrlichtert zwischen der fassungslosigkeit über das geschehene und von ihm verdrängte und der ratlosigkeit, wie sie diesen mit der zeit immer grösser gewordenen dämon wieder schrumpfen kann. der expressionistische bühnenraum von viva schudt ist vollständig in das fast schmerzhafte rot-gelb getaucht, das man vom himmel bei edvard munchs „schrei“ kennt: der alltag als psycho-trip, alle suchen hier halt, doch alles bricht weg, die wände auf der bühne wackeln, kippen, verschwinden, da ist kein halt, am schluss bleibt ein grosser leerer schwarzer raum – und an der rampe aline und hilde, deren anklage sich, immer intensiver, immer lauter, steigert zum finalen aufschrei.

 

Dienstag, 19. November 2024

CHUR: HR GIGERS FRÜHE JAHRE

„labor“ nennt sich der grosse, kahle raum im ersten stock des bündner kunstmuseums in chur. und er gewährt zurzeit einen einblick ins labor eines grossen einheimischen künstlers. hr giger (1940-2014) kennt man vor allem als erfinder finsterer figuren, am bekanntesten sein alien, die krötenartige spinne aus dem gleichnamigen horrorfilm, für den er 1980 den oscar für die besten visuellen effekte bekam. das werk beeinflusste das grusel-genre und die black-metal-szene nachhaltig. doch was war davor? wie kam es dazu? die ausstellung, die in enger zusammenarbeit mit gigers vertrauter katharina vonow entstand, wirft einen geradezu liebevollen blick auf die kindheit und jugend des künstlers. sie lebt von kontrasten, sie zeigt den dunklen meister als fröhliches kind. der vater, apotheker in chur, schoss prächtige bilder vom unbeschwerten spiel auf der alp foppa. daneben einige von gigers kinderzeichnungen, eisenbahnschienen beispielsweise, einfache eisenbahnschienen, doch da lohnt sich ein genaueres hinsehen: diese eisenbahnschienen schlingen sich in die lüfte, verknoten sich, verlieren sich im nirgendwo. früh scheint sich da etwas anzubahnen. bald konstruierte giger zuhause eine geisterbahn und mit 16 begann er, beeinflusst vom ägyptischen totenkult, sein „schwarzes zimmer“ einzurichten, sein labor, sein experimentierfeld: the artist as a young man, schwarzes hemd, schwarze hose, irgendwo ein skelett in einem astronautenanzug, totenschädel, vampirhände. die umfassende auswahl privater bilder und dokumente zeichnet bestens nachvollziehbar den weg nach zu dem, was als bekannt vorausgesetzt wird und hier nicht mehr gezeigt werden muss: hr gigers legendärem mix aus gotik, surrealismus und maschinenraum.