Dienstag, 2. April 2024

MÜNCHEN: PAULMANNS SEMMELN, PAULMANNS SOLO

annette paulmann ist seit vielen jahren ein sicherer wert im ensemble der münchner kammerspiele. oberste liga, sei´s schiller, tschechow oder marthaler, paulmann ist immer eine grosse nummer und immer wieder überraschend anders. jetzt gönnt das theater ihr (und sie sich) einen soloabend im werkraum: „fünf bis sechs semmeln und eine kalte wurst“, toller titel, schwere kost. basis bilden die „erinnerungen einer überflüssigen“ von lena christ (1881-1920), einer frau, die in einem wirtshaus aufwuchs und von ihrer mutter und vom leben ununterbrochen und schwerstens geprügelt wurde. „noch schlimmer als die schläge war das warten auf die schläge.“ paulmann verbindet damit ihre eigene biografie, auch sie wirtstochter, auch sie war psychischer und physischer gewalt ausgesetzt, auch sie begegnete den körperlichen züchtigungen mit erstaunlicher resilienz. projektionen zeigen sie auch als mutter, vater, onkel, viel verbitterung in den gesichtern. dazu mäandert sie durch diese beiden frauenleben, durch dieses permanente kleingemachtwerden und kleingehaltenwerden, sie erzählt und deutet spielend an, viel mehr braucht es nicht. so schlicht, so heftig, so aufwühlend. als sie ihre hochbetagte mutter auf all die demütigungen anspricht, bekommt sie zur antwort: „na, hat´s dir geschadet? eben!“ sie hätten sich dann doch noch versöhnt, dank einem knuffigen geschenk für die mutter, „ein kleiner berner sennenhund, der sehr schnell ein sehr grosser berner sennenhund wurde“. ganz zum schluss und wie aus heiterem himmel ein wilder tanz, annette paulmann tanzt mit dem körper und dem künstlichen hüftgelenk und den bewegungen einer 59jährigen und der energie einer 20jährigen, befreiung total. so entlässt der schwere abend erstaunlich beschwingt. echt paulmann, siehe oben, immer wieder überraschend anders.

 

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