Donnerstag, 30. September 2021

MÜNCHEN: TOKARCZUK LIVE

„it`s so new that i even couldn´t have a look inside”, sagt literaturnobelpreisträgerin olga tokarczuk, als ich ihr meine beiden exemplare ihres neusten buches zum signieren hinlege. einen kurzen moment beginnt sie darin zu blättern, neugierig und ehrfürchtig. und ich frage sie nach diesem kurzen moment, ob ich ihr eines schenken soll… „übungen im fremdsein“ heisst der essayband – druckfrisch liegt er auf dem büchertisch der münchner kammerspiele, eine avant-première. „ein abend mit olga tokarczuk“ war angekündigt, das haus ist voll. zwei stunden lang lässt uns die ebenso faszinierende wie allürenfreie frau teilhaben an ihrer denk- und arbeitsweise, an ihren übungen im fremdsein. der perspektivenwechsel ist eine ihrer zentralen methoden. sie erzählt, dass sie randgebiete viel interessanter findet als zentren, sowohl geografisch als auch im übertragenen sinn, und plädiert für eine kultur der peripherie und für die kraft, die entsteht, wenn man gegensätze zusammenführt. sie erzählt, wie sie zunehmend feststellt, dass menschen angesichts von newsflut und fake news die fähigkeit verlieren, literarische fiktion zu lesen. sie erzählt, dass es ihr nach den acht jahren, die sie für „die jakobsbücher“ (1200 seiten) investierte, schlecht ging und wie sie erschrak, als ihr dann ein chinesischer arzt sagte, diese energien seien nicht erneuerbar. doch, habe sie glücklicherweise feststellen dürfen: es war allerdings (und typischerweise) nicht der nobelpreis, der ihr neue kraft verlieh, sondern die teilhabe anderer an ihren werken; sie freut sich über den intensiven austausch mit lesern, sie freut sich über die sorgfalt ihrer übersetzerinnen, sie freut sich über theaterleute, die ihre prosa für die bühne adaptieren. und wir freuen uns auf jedes neue buch von olga tokarczuk, die mit intellektueller brillanz, enzyklopädischer leidenschaft und einer feingezwirnten schreibe üppig gesegnet ist. und mit humor.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen