jetzt aber: neue intendantin, neues
ensemble, neue lust auf analoges post-lockdown-theater. die frage war also: wie
startet ina karr ihre direktionsära am luzerner theater? die antwort: mit einem
fulminanten fest der sinne, fasnacht mitten im sommer. sie lässt die ebenfalls
neue opernchefin lydia steier, die sich trotz internationaler karriere hier
verpflichten liess, und die ensemblemitglieder aus oper, schauspiel und tanz
auf mauricio kagels anti-oper „staatstheater“ los, dies im theater, in der
franziskanerkirche und an drei schauplätzen in der stadt, die live zugeschaltet
werden. „staatstheater“, das sind 500 seiten partitur, die schon der komponist nicht
als rundes werk, sondern quasi als selbstbedienungsladen für die regie
verstand. bei der uraufführung an der hamburgischen staatsoper vor exakt 50
jahren kam das als scharfe kritik am grossbetrieb theater daher, mittlerweile eher
als parodie, die sich lustvoll an begriffen wie werktreue und regietheater
abarbeitet: falstaff grilliert würste, hamlet stolpert durch seinen monolog, da
ein bisschen wagner, dort ein hauch bizet, mephisto verfolgt einen radelnden
engel, pelléas und mélisande werden in der badewanne über die bühne geschoben
und puccinis butterfly rauscht auch noch vorbei, bevor die wilde bande auch
noch alle möglichen theatertode zelebriert, erhängen, erdolchen, erdrosseln,
vergiften. lydia steier veranstaltet einen gigantischen, farbenfrohen bilder-
und kostümrausch, der im kern vor allem eines will: immer wieder unsere
sehgewohnheiten hinterfragen und unsere sehnsucht nach illusion. das publikum reagiert
teils amüsiert, teils irritiert auf dieses chaos, wundert sich immer wieder
über sinnfreie szenen und überbordenden ulk – und spendet doch nach dem
lärmigen finale in der franziskanerkirche üppigen applaus, was das neue
ensemble sichtlich rührt: ja, sie sind bereits mit dieser ersten, schrägen
produktion angekommen in luzern.
Montag, 13. September 2021
LUZERN: STAATSTHEATER
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