Montag, 13. September 2021

LUZERN: STAATSTHEATER

 jetzt aber: neue intendantin, neues ensemble, neue lust auf analoges post-lockdown-theater. die frage war also: wie startet ina karr ihre direktionsära am luzerner theater? die antwort: mit einem fulminanten fest der sinne, fasnacht mitten im sommer. sie lässt die ebenfalls neue opernchefin lydia steier, die sich trotz internationaler karriere hier verpflichten liess, und die ensemblemitglieder aus oper, schauspiel und tanz auf mauricio kagels anti-oper „staatstheater“ los, dies im theater, in der franziskanerkirche und an drei schauplätzen in der stadt, die live zugeschaltet werden. „staatstheater“, das sind 500 seiten partitur, die schon der komponist nicht als rundes werk, sondern quasi als selbstbedienungsladen für die regie verstand. bei der uraufführung an der hamburgischen staatsoper vor exakt 50 jahren kam das als scharfe kritik am grossbetrieb theater daher, mittlerweile eher als parodie, die sich lustvoll an begriffen wie werktreue und regietheater abarbeitet: falstaff grilliert würste, hamlet stolpert durch seinen monolog, da ein bisschen wagner, dort ein hauch bizet, mephisto verfolgt einen radelnden engel, pelléas und mélisande werden in der badewanne über die bühne geschoben und puccinis butterfly rauscht auch noch vorbei, bevor die wilde bande auch noch alle möglichen theatertode zelebriert, erhängen, erdolchen, erdrosseln, vergiften. lydia steier veranstaltet einen gigantischen, farbenfrohen bilder- und kostümrausch, der im kern vor allem eines will: immer wieder unsere sehgewohnheiten hinterfragen und unsere sehnsucht nach illusion. das publikum reagiert teils amüsiert, teils irritiert auf dieses chaos, wundert sich immer wieder über sinnfreie szenen und überbordenden ulk – und spendet doch nach dem lärmigen finale in der franziskanerkirche üppigen applaus, was das neue ensemble sichtlich rührt: ja, sie sind bereits mit dieser ersten, schrägen produktion angekommen in luzern.

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