Mittwoch, 22. September 2021

MÜNCHEN: DIE POLITIKER - IN PRAXIS UND POESIE

wahlkampf-finale. fdp-spitzenkandidat christian lindner spricht auf dem marienplatz. und wer hört zu? 98 prozent auf dem platz sind männer. frauen? sind dann doch ein thema: „stellen sie sich vor, annalena baerbock ist kanzlerin“, ruft lindner. raunen in der menge, schäbiges grinsen. lindner geniesst das heimspiel, wiederholt die frage und zieht die grüne kandidatin ins lächerliche. applaus. politiker und publikum, so einfach ist das. – nein, ist es eben nicht. eine stunde später, münchner kammerspiele, grosses haus, nicht ausverkauft, doch gut besetzt: „die politiker“ von wolfram lotz. wann, wenn nicht jetzt, soll man sich dieses stück anschauen? stück? aus politiker-statements, social-media-kommentaren, partei-slogans, stammtischgeschwätz, albträumen und gehobenem nonsens („die politiker tun die aprikosen verlosen“) hat lotz eine tranceartige textlawine gefertigt, eine poetische annäherung an die politik. power-poesie allerdings. regisseurin felicitas brucker lässt diesen text nicht spielen, sondern performen, rhythmisch und redundant. katharina bach, svetlana belesova und thomas schmauser arbeiten sich in küche, bad und bastelkeller parallel und schwer schwitzend durch diesen sprachstrom. als zuschauer schwankt man zwischen überforderung und faszination, entziehen kann man sich dem sog definitiv nicht. die politiker sind der wind in den bäumen? die politiker wollten es nicht so? könnt ihr mich hören? könnt ihr mich hören? immer wieder ruft schmauser ihnen dies zu. hier landet man beim kern dieses hardcore-poetry-slams, der frage nach der verantwortung. verantwortung nicht nur der politikerinnen und politiker, verantwortung aller in einer demokratie. könnt ihr mich hören? krass klingt das nach im kopf.

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