Sonntag, 26. September 2021

MÜNCHEN: LOS AÑOS / DIE JAHRE

alles läuft wie am schnürchen. rasante dialoge, witzige pointen, ein hüpfen und springen von szene zu szene, man wähnt sich in einer perfekt durchgetakteten boulevardkomödie. grosser irrtum. dieses temporeiche telenovela-getue bildet bei „los años / die jahre“, das jetzt an den münchner kammerspielen zu sehen ist, nur die oberfläche. der argentinische autor und regisseur mariano pensotti geht tiefer. auf der bühne stehen zwei identische zweistöckige appartements. der unterschied: 30 jahre. links 2020, rechts 2050. links ist der architekt martín 30, wird durch einen zufall zum erfolgreichen dokumentarfilmer, er ist privat und politisch in aufbruchstimmung, seine frau, seine freunde ebenso, die zukunft motiviert sie. rechts ist martín 60, nach jahren als mittelmässiger film-dozent an einer mittelmässigen deutschen uni kehrt er zurück nach buenos aires, macht sich in den trostlosen vorstädten erfolglos auf die suche nach dem elternlosen jungen, den er damals im film porträtierte – und dem er letztlich den erfolg verdankte. 2020 und 2050 werden parallel erzählt, vergangenheit, gegenwart, zukunft, alles durcheinander, manchmal mit weichen übergängen, manchmal mit harten schnitten, die brutal deutlich machen, was aus den grossen hoffnungen, den romantischen illusionen, den revolutionären ideen geworden ist: nichts. ernüchterung privat, beruflich, politisch. die weltlage macht´s auch nicht besser: hunderttausende holländer leben in argentinien, „seit ihr land unter wasser steht“. was haben die jahre aus uns gemacht? was haben wir aus den jahren gemacht? das wühlen in der vergangenheit wird zu einer steilvorlage für die gestaltung einer anderen zukunft. einmal mehr. bei martíns 60. geburtstag singen die freunde „i don´t want to live my life again” von den ramones, sie kreischen es, so sicher sind sie. und dann werden sie müde. mariano pensotti beherrscht die kunst, das abgründige seiner erzählung und das leichtfüssige seiner inszenierung im gleichgewicht zu halten, ohne verluste für das eine noch das andere.

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