Donnerstag, 6. Februar 2020

LUZERN: SPITTELER RELOADED

wer kennt carl spitteler? klar, schriftsteller und einziger schweizer literaturnobelpreisträger (1919), der 32 jahre in luzern lebte, hier beigesetzt wurde und schon kurz danach dem quai-abschnitt vor seiner villa seinen namen gab. und wer hat was gelesen von spitteler? da wird’s schon schwieriger. zum kanon der schweizer schulen gehört er erstaunlicherweise nicht. zu den bildungslücken schon eher. unter dem titel „spitteler reloaded“ haben sich die beiden dokumentarfilmer jörg huwyler und beat bieri im vergangenen jahr auf seine spuren gemacht. entstanden ist eine ebenso liebevolle wie vielseitige annäherung an den bekannten unbekannten: der psychologe und rapper urs baur alias black tiger verdichtet spittelers zeilen ins heute und steckt die spoken-word-szene damit an, der schauspieler sigi arnold sieht im monumentalwerk „olympischer frühling“ die perfekte vorlage für eine netflix-serie und liest die über 20‘000 alexandrinerverse am spittelerquai vor, kunststudentinnen lassen sich von der brutalen fremdenhass-geschichte „xaver z’gilgen“ zu prägnanten collagen inspirieren, eine jungautorin rekonstruiert seinen gotthard-reisebericht und literaturprofessoren betonen die bedeutung seiner rede zur schweizer neutralität 1914, die ihn die zuneigung des deutschen publikums kostete. viele wege führen zu carl spitteler. der film schafft es auf anhieb, dem mann konturen zu geben: ein vornehmer denker, sympathisch, zurückhaltend, in entscheidenden momenten durchaus engagiert. und vor allem macht der film – endlich – lust auf dieses werk. zum start entscheide ich mich für den autobiografischen roman „imago“, das dokument einer künstlerseele, das auch bei freud und co. in wien grosse beachtung fand. 

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