Montag, 3. Februar 2020

LUZERN: OREST

die szenerie sehr heutig, der stoff uralt: vor einem angerosteten, verbeulten schiffscontainer spielt die theatergruppe nawal des luzerner voralpentheaters aischylos‘ „orest“ in der bearbeitung von john von düffel. mit einer truppe hervorragender laiendarstellerinnen und -darsteller erzählt regisseur reto ambauen diesen krassen kreislauf aus mord und rache und wieder mord, in dem sich die von der schlacht um troja gezeichneten hoffnungslos verheddern. vater opfert tochter, mutter mordet vater, sohn erschlägt mutter und geliebten der mutter. mit beeindruckender präsenz zeigt das junge ensemble auf, wie täter zu opfern werden und opfer zu tätern. orest, elektra, klytaimnestra, kassandra, menelaos - sie sprechen oft frontal ins publikum, konzentriert und kraftvoll, wir können uns diesen persönlichen dramen, dieser inneren zerrissenheit und endlosen verzweiflung nicht entziehen. nicht nur der container schlägt die brücke in die gegenwart: die grossen fragestellungen sind in den zweieinhalbtausend jahren seit aischylos die gleichen geblieben, die fragen nach fanatismus, verantwortung, gerechtigkeit. „wenn götter irren, ist es an uns zu wissen, was recht ist oder trug“, sagt einer fordernd. bei aischylos endet die tragödie mit dem freispruch von orest und einem gesellschaftlichen wandel, dem übergang zu einer ordentlichen gerichtsbarkeit. john von düffel und das theater nawal misstrauen diesem happy-end und stellen die zentrale frage mit grosser ernsthaftigkeit: schaffen es die menschen, die spirale aus gewalt und vergeltung aus eigenem antrieb zu überwinden? das schlussbild der inszenierung gibt eine mögliche antwort: elektra und orest fackeln den königspalast nieder, ein dunkelrotes flammenmeer umfängt den schiffscontainer, aus.

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