Dienstag, 1. Oktober 2019
ASCONA: DIE BRÜSTE DER WAHRHEIT
intensiv duften die feigenbäume und der jasmin, in der
ferne ertönt fein der monotone gesang der kirchenglocken, zuerst von ascona her,
dann von losone. idylle am sonntagmorgen. und dann, zwischen zengarten und teepavillon,
rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrmm rrrrrrrrrrrrmm, ein laubbläser. hier, in diesem stillen,
verwunschenen park. ein laubbläser. das ist die stunde der wahrheit auf dem
monte verità. doch die ganzen magnetischen anomalien, die strahlungen der
ultrabasischen gesteine, die in dieser zone vorherrschen und die
anziehungskraft dieses ortes wesentlich ausmachen („diorite, gabbros,
peridotite, amphibolite“ – im guide eindruckheischend aufgelistet), sie alle
kommen dem laubbläser nicht bei. ein spezieller ort. und jetzt die gelegenheit,
endlich harald szeemanns legendäre ausstellung „le mammelle della verità“ (die
brüste der wahrheit) zu besichtigen, die 1978 hier startete, dann in halb
europa zu sehen war und seit zwei jahren, restauriert, wieder zugänglich ist. in
der casa anatta lässt eine geradezu berauschende fülle von exponaten die
geschichte des monte verità ab 1900 lebendig werden: wie sich zunächst die vegetarierinnen
und nudisten hier tummelten, dann immer mehr künstlerinnen, anarchisten,
intellektuelle (aus platzgründen hier kein namedropping). man taucht ein und glaubt
zu spüren, wie die magische atmosphäre sie alle in aufbruchstimmung versetzte
und zu alternativen lebensentwürfen inspirierte. ein ort als droge, ein
faszinierender hügel der utopien. 600 personen mit 600 verschiedenen
paradiesvorstellungen machte szeemann aus. wo trifft sich die europäische
intelligenz eigentlich heute?
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