Donnerstag, 10. Oktober 2019

MÜNCHEN: HORVÁTH UND DIE HEIMAT

ein theaterautor stirbt einen theaterreifen tod: als gast in paris wird er auf den champs-élysées von einem herabstürzenden ast erschlagen. weil er trotz heftigem gewitter kein taxi nehmen wollte. weil ihm dies zu gefährlich schien. der abgang von ödön von horváth 1938 ist spektakulär und bekannt. das deutsche theatermuseum in münchen zeigt jetzt, was diesem abgang vorausging, wie und wo horváth lebte, was ihn inspirierte, dies in einer wunderbar kurzweiligen ausstellung, die selbst eine art inszenierung ist. im ersten raum betritt man den wirtshaussaal nach der saalschlacht zwischen unterschiedlichen politischen gruppierungen (aus „italienische nacht“), weiter oben oktoberfest-stimmung („kasimir und karoline“) und schliesslich auch noch oskars gediegene fleischhauerei („geschichten aus dem wiener wald“), darin überall dutzende von aufschlussreichen dokumenten drappiert. horváth war nicht nur relativ rastlos zwischen wien, berlin und münchen unterwegs, sondern verbrachte, was weniger bekannt ist, auch ruhigere momente in murnau in oberbayern, das ja auch die blauen reiter um wassily kandinsky magisch anzog. hier beobachtete er die kleinbürger und studierte ihre sprache, hier schaute er sich die trivialstücke der bauerntheater an, hier wurde der boden gelegt für sein zeitgenössisches, stilprägendes volkstheater, für seine rattenscharfen analysen der gesellschaft und der zeitläufe. er fühlte sich zuhause in murnau und stellte 1927 einen antrag auf einbürgerung, der an seinem ungeregelten einkommen scheiterte. „heimat? kenn ich nicht“, schrieb er zwei jahre später in einem aufsatz.

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