Donnerstag, 11. Oktober 2018

ZÜRICH: WAHLVERWANDTSCHAFTEN

platz frei für goethes laborratten. das labor auf der bühne des zürcher schauspielhauses ist ein sich nach hinten verjüngendes spiegel-und-neon-raumschiff. in diesen kalten, geschlossenen raum setzt regisseurin felicitas brucker den roman "wahlverwandtschaften", für den goethe chemische experimente der anziehung und abstossung auf menschen übertrug: ein ehepaar und zwei gäste verlieben sich über kreuz, das verhängnis nimmt seinen lauf, am ende drei tote. abgesehen von ebenso unnötigen wie dämlichen musikeinlagen (marcel blatti) gelingt der regisseurin ein dichtes, zunehmend deprimierendes arrangement, welches das feinstoffliche der dialoge, monologe und erzählpassagen herausarbeitet, den fatalen widerstreit von leidenschaft und vernunft, von entgrenzung und entsagung. „aufräumarbeiten im liebeschaos“ heisst es im programmheft treffend. die chemie (um bei goethes ausgangspunkt zu bleiben) zwischen den vier schauspielern stimmt ganz offensichtlich so hervorragend, dass in jedem augenblick der rasanten eineinhalb stunden völlig klar bleibt, dass die chemie zwischen den figuren eben nicht stimmt, in dieser versuchsanordnung nie stimmen kann. vor allem der charlotte von julia kreusch im frech kurzen knallorangen kleidchen gelingt es dabei überzeugend, goethes mittlerweile etwas entfernte sprache in einen absolut heutigen tonfall zu bringen, charlotte 1809 glaubwürdig als charlotte 2018. es ist ein grosses verdienst des theaters, auch romane, die trotz ihrer zeitlosen gültigkeit in den hintergrund geraten sind, wieder ans licht zu holen, auch wenn dieses licht dann grell und kalt ist. hier ist es die kälte der dating-welt. goethes laborratten sind mitten unter uns.

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