Samstag, 16. April 2011

MÜNCHEN: EINE VOLLE DOSIS JELINEK

das kann nur frau jelinek. den bankenskandal um die hypo alpe adria und die demenz des eigenen vaters und die abfallentsorgung und die häme, mit der das entführungsopfer natascha kampusch übergossen wird – diesen ganzen thematischen gemischtwarenladen packt sie in einen einzigen text. „winterreise“ nennt sie ihr neustes stück. stück? naja, „winterreise“ ist eine 126 seiten lange textfläche, keine rollen, keine regieanweisungen, gar nix. also wie fast immer bei frau jelinek. johan simons, der intendant der münchner kammerspiele, stemmt daraus einen wuchtigen abend. durch einen heftigen schneesturm wird die allererste liga seines ensembles auf die bühne gefegt, wo sie sich dann – gelegentlich unterbrochen durch verfremdete motive aus schuberts schwermütiger „winterreise“ - durch das text-ungetüm frisst und schreit und monologisiert und juxt und winselt. ein gigantisches spektakel über den wahnwitz der gegenwart: wie sich im fröhlichsten alltagsgeschwätz die tiefsten abgründe auftun, wie man sich die wahrheit plaudernd vom leib hält. ein knallharter abend über die kunst des verdrängens. die bühne ragt bis tief in den zuschauerraum hinein, auf dass niemand meinen möge, er sei nicht gemeint. auch deshalb: immer wieder gänsehaut.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen