Freitag, 23. August 2024

ZÜRICH: GLORIA, THE RIGHT TO BE DESPERATE

haben wir nicht auch das recht, einfach verzweifelt zu sein? ziemlich provokativ kreist diese frage über der neuen (englischsprachigen) produktion, die das theater neumarkt im rahmen des zürcher theaterspektakels zeigt. soll, kann, muss alles wegtherapiert werden? „gloria, the right to be desperate“ beschäftigt sich mit dem therapiewahn der heutigen gesellschaft und mit unserer voyeuristischen lust, uns via reality-shows an den krisen und therapien anderer zu ergötzen. ziemlich ambitiös für eineinhalb stunden. die polnische regisseurin gosia wdowik nimmt die „gloria“-filme (1965) als ausgangspunkt: eine geschiedene frau, in der zwickmühle zwischen ihren äusseren bedürfnissen und ihren inneren standards, liess sich in drei therapiesitzungen filmen – und was bloss als anschauungsmaterial für psychologiestudenten gedacht war, geriet in die kinos (usa halt!!), was die verzweiflung der frau klar potenzierte. der erste teil von wdowiks inszenierung ist das reenactment einer dieser therapiesessionen, mit einer wunderbar differenzierten sofia elena borsani als gloria. im zweiten teil bewegen sich zwei sprechende steine über eine abstrakte, dunkle insel (vielleicht die zwei seelen in glorias brust), ein absurd-witziger annäherungsversuch inmitten von erdlöchern und pflanzen und auf einem sphärischen klangteppich: „ich höre deinen gedanken zu.“ im dritten teil beobachten wir izabella dudziak beim versuch, auch vor publikum authentisch und empathisch zu sein, ein höchst behutsames spiel zwischen verletzlichkeit und verlegenheit. alles in allem: viele inputs, irritationen, fragen, zeit zum nachdenken – und futter für reichlich gespräche. und letztlich ist der abend vor allem ein plädoyer, ob all der selbstbeschäftigung und selbstoptimierung die anderen nicht zu vernachlässigen, dem individuellen bewusstsein nicht das kollektive zu opfern.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen